Dienstag, 26. Februar 2002
germanistisches

Heinz Schlaffer, seines Zeichens methodisch etwas angestaubter Germanist, macht gerade Furore mit einem Bändchen, das er "Die kurze Geschichte der deutschen Literatur" nennt. Einen Extrakt, der, nach allem, was man so liest, eine Essenz darstellen dürfte, gibt's heute in der Frankfurter Rundschau. Die zugrundeliegende These ist von vertrackter Dialektik, man kann auch Unlogik sagen: es gibt, so Schlaffer, keinen ordentlichen Traditionszusammenhang deutscher Literatur. Diese setzt recht eigentlich erst mit den Vorläufern der deutschen Klassik ein, ganz so wie wir's schon im Deutschunterricht gelernt haben. Der Rest ist immer wieder abgebrochener Anfang und zum großen Teil auch den Leistungen anderer europäischer Länder unterlegen. So weit, so allzu bekannt - und vielleicht nicht grundverkehrt.

Nun will aber Schlaffer weder auf zu Unrecht Vergessenes hinweisen - wie es Hubert Fichte mit einigem Furor für die deutsche Barockliteratur, Arno Schmidt eigensinnig für manchen Außenseiter unternommen hat - noch will er sagen, dass irgendwas an der Obsession für Goethezeitliches falsch ist. Seine These ist, dass alles, ganz literatursoziologisch, an der Religion hängt, zu deren ausrechenbaren Folgen er diese unsere Literatur zählt - und über den jeweiligen Bezug zur Religion möchte er gern eine deutsche Nationalliteratur rekonstruiert wissen. Was sich danach nicht richtet, ist folglich nicht richtig deutsch und der germanistischen Beobachtung wohl nicht weiter wert. Schlaffer hält dabei, ganz normativ und in seinen Normen vom Deutschlehrer von vor zwanzig Jahren in nichts unterschieden, die Klassik für den Gipfelpunkt der deutschen Literaturgeschichte (der er einen weiteren Höhepunkt zwischen 1900 und 1950 konzediert) und steht unglaublich sicher auf dem Boden ihrer Prämissen. Was ihn ärgert ist, dass man das heute nicht mehr so sagen darf; glaubt er wenigstens. Er dagegen will es ganz laut sagen dürfen und verteidigt sich schon mal im voraus mit den üblichen (von Schwanitz & Co.) bekannten neokonservativen Ressentiments gegen den Vorwurf des Nationalchauvinismus. Das Ressentiment läuft, apart apart, auf die Beschimpfung der Deutschen hinaus - und zwar dafür, dass sie nicht erkannt haben, was eigentlich deutsche Größe ist. "Charakteristisch für die Geschichte der deutschen Literatur ist, dass viele ihrer bedeutenden Werke nachträglich erst anerkannt, mitunter überhaupt erst konstituiert wurden - im Unterschied zu Italien, England, Spanien, Frankreich, wo die klassischen Autoren bereits unter den Lebenden ihr Publikum fanden."

Wo, frage ich mich, ist denn hier eigentlich das Problem? Die Rezeptionsgeschichte der deutschen Literatur ist gelaufen, wie sie gelaufen ist, das, wie üblich, mit schlechten eher als mit guten Gründen. Warum kann man sich nicht ganz entspannt mit dem beschäftigen, was man findet, mit Kontinuitäten und Diskontinuitäten und gelegentlich unter dem Maß des Nichtklassischen mal nachsehen, was es neben den anerkannten Größen noch so alles gibt. Stattdessen regiert da ein elender Wunsch nach Zusammenhang und Geschichtsphilosophie, dem die Phänomene in Wirklichkeit ganz fremd sind und egal. Dass dieser Wunsch sich immer noch auf Kausalität komm raus als nationalpädagogische Soziologie mit normativen Ansprüchen aufspielt, macht die Sache so richtig unangenehm. Es ist dies, vergleichbar Harold Blooms alteuropa-chauvinistischen Kanon-Anstrengungen, ein letztes Gefecht für eine Disziplin, deren Existenzberechtigung gerade, zum Glück und mit gutem Grund, den Bach runter geht.

Die Geisteswissenschaftler der Feuilletons, denen der neumodische Kram von (methodisch) Poststrukturalismus bis (disziplinär) Kulturwissenschaften ohnehin suspekt ist, stehen natürlich stramm, so diese Woche Johannes Saltzwedel im Spiegel und heute Ulrich Raulff in der SZ.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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