Dienstag, 5. März 2002
kohlhaas/mall

Was man endlich tun sollte: eine Verteidigung der Mall schreiben. Denn die halbe Wahrheit nur verkündet Ulf Jonak in seiner Rezension von oder eher freien Improvisation über Rem Kohlhaas' Shopping-Katalog in der Frankfurter Rundschau: "Die "Mall" als Modell der Stadtplanung, übersichtlich, effizient und ohne Brachen, bestens überwacht, konsumunwillige Außenseiter abweisend, in den Auslagen im spannenden Wechsel begriffen, subtil sich gesellschaftlichen Moden anpassend, allmählich das urbane Leben auf das Shopping-Thema reduzierend. Wer stehen bleibt, zückt unwillkürlich das Portemonnaie, diskret, aber umso beharrlicher zum Konsum aufgefordert. Wer stehen bleibt, ist eingenommen, ist befangen und unter Umständen überwältigt. Die Faszination vor dem Glimmer der Oberflächen lässt die Kommunikation stocken. So hat die Mall Park und Platz als Ort der freien Rede verdrängt."

Alle Nostalgie ist immer halb falsch, also auch die Sehnsucht nach Park und Platz. Nur weil im Freien der kleinen Stadt die sozialen Grenzen nicht sichtbar sind als Wände um eingeschlossenen Kaufraum, nur weil der Platz ein öffentlicher ist, nicht die nachgebaute und durch privates Sicherheitspersonal zwangsbefriedete Simulation von Öffentlichkeit, kann von Freiheit im öffentlichen Raum doch nicht im Ernst die Rede sein. Im Gegenteil: die Dorfstraße, die Fußgängerzone (die allerdings allerorten auf dem Weg zur Mall-Struktur ist) ist der Ort der Dauerbeobachtung, des sozialen Abmessens und Einfügens in Vorkenntnisse übers Individuum, der Regulierung von Verhaltensabweichungen; die Mall ermöglicht demgegenüber gerade eine Freisetzung durchs Monothematische. Man kann sich hier absentieren mitten im Trubel, der aufs Fressen und Shoppen gerichtet ist, man kann lungern und abseits stehen und niemanden stört es, solange man niemanden stört.

Die Mall ist komprimierte Großstadt, totale Anonymisierung und daher das Signum der Zukunft der Großstadt; sie hat nur ein Gesicht und fordert nur minimale Anpassung. Sie ist ganz und gar künstlicher Raum - und als solcher irritiert er die eingespielten öffentlichen Verhaltensnormen. Der Druck, der von der Mall aufs Individuum wirkt, ist kein sozialer mehr, sondern einer der Zeichen, die gerne hätten, dass man sie erkennt. Wir sind in der Mall nicht mehr politische Wesen, sondern hochgezüchtete Semiotiker. So ist die Mall der vollendete Raum des Asozialen, das etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln durch die statische räumliche Nähe immer wieder erschüttert wird, in denen der eminente Sozialraum Kutsche noch nachzittert. In einer Mall kann man niemanden kennenlernen, in einer Mall ist man das Individuum als kunterbunte Uniform, die die Mimikry an die multiforme Warenform betreibt. Was aber in der Uniform steckt, interessiert keinen mehr - und eine der Ideologien, die entstehen, wenn man glaubt, es gebe nur, was man sieht, ist die, dass gar nichts mehr darin und dahinter steckte an Individuellem. Wahr ist, dass die Mall nicht der Ort der freien Rede ist, aber welcher Park (von Refugien des Wahnsinns wie der Speaker's Corner mal abgesehen) und welcher Platz war das je. In der Mall mit ihren visuellen Zerklüftungen gibt es kein Zentrum mehr, die große politische Kundgebung ist per Raumdefinition unmöglich geworden, umgekehrt natürlich auch die Demonstration - aber beides sind doch eher anachronistische Repräsentationsformen des Politischen.

"Die Menschheit wird verschwinden, Ruinen werden bleiben. Die Auflösung aber hat, wie Koolhaas meint, bereits begonnen. Der öffentliche Raum verschwindet hinter gigantischen Bildern, von Bildschirmen ist der Raum umstellt. Die Gehirne sind von Bildern geflutet, Bilder einer Traumwelt, die alles andere beiseite drängen. Die Dinge werden erworben als haptische Vergewisserungen, dass die Traumwelten real sind. Welch ein Irrtum, man ahnt es. "

Auch alles Apokalyptische ist immer halb verkehrt. Mitten im falschen Bewusstsein - und nicht vom vermeintlichen Außen des Predigerpostens - ersteht immer wieder neu luzide Erkenntnis, tun sich Lösungen auf, die aufs Problem passen wie der Schlüssel ins Schloss. Die Bilderflut enthält immer ihr Anderes, die Möglichkeiten zum Umgang mit ihnen, der Kritik ist und Alternative. Vor allem produziert sie, je komplexer die Zeichenwelt, desto notwendiger, falsche Anschlüsse, Unverständnis, Überforderungen, die sich zu Formen des Widerstands, unerwarteter, unkontrollierbarer Gegenreaktionen verklumpen. Und wie immer ist es so, dass nur der Kulturpessimist an die Realität der Träume glaubt, an die Unfähigkeit der einzelnen, hier Unterscheidungen zu treffen, ohne die man das alles ja auch gar nicht aushalten könnte. Kohlhaas, der - siehe sein Prada-Shop in New York - munter mitspielt als Apokalyptiker auf den zentralen Umschlagplätzen finanziellen und symbolischen Kapitals, glaubt mit der Inbrunst des Bußpredigers an das Spiel der Dinge und Marken, das, so differenziert und hoch aufgeladen mit Bedeutungen es sein mag, keinem vorgaukelt, es sei mehr als das: bloßes Spiel, die Benutzeroberfläche einer Gesellschaft, die mit den Wirksamkeiten des kapitalistischen Betriebssystems nur die täuschende Ähnlichkeit des Symbolischen gemein hat.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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