Dienstag, 12. März 2002
bill viola

Bill Viola: Going Forth By Day (Guggenheim Berlin, noch bis 5. Mai)

Ihr, die ihr hier eintretet, solltet gleich schon mal alles Profane fahren lassen: man kommt durch die Tür, wendet den Kopf und sieht einen Mann in feuerorangegelber, vor sich hin sprudelnder und blubbernder Plazenta treiben. Auch an die gegenüberliegende Wand geworfen ein Video, eine weiße Hausfront, man blickt durch eine offene Tür in einen Treppenaufgang, zwei geschlossene Fenster, Menschen hasten vorüber. Zur linken Hand auf extremer Breitlein-Wand ein Waldpfad, von links nach rechts gehen, sehr gemäßigten Tempos, Menschen, die mitten in den Alltag hinein gehörten, aber nicht in den Wald, den sie queren. Mit leichter Verzögerung erst bemerkt man, dass es sich um eine Zeitlupenaufnahme handelt. Rechts zwei Filme, zwei Szenen: ein schwerer Unfall scheint sich, rechts, ereignet zu haben, Rettungskräfte und eine abwesend wirkende Frau stehen, dann sitzen um einen kleinen Teich, die Ambulanz fährt ab, man begibt sich zur Ruhe, das ganze erhebt keine Realismusprätention, ist eindeutig im Studio gedreht. Links davon die surrealste Komposition: ein Boot, abfahrbereit am Ufer eines großen Sees, wird beladen mit Einrichtungsgegenständen. Links davon, auf einer leichten Anhöhe, ein Haus, eine Art Kapelle mit einer Seitenwand aus Glas, durch die wir hineinschauen können. An einem Bett mit einer/m Toten sitzt ein, trauerndes, mutmaßt man, Paar. Vor der Tür ein Mann mit Spitzbart, wenn die beiden gegangen sind, schließt er die Tür, gegen die die beiden bei ihrer Rückkehr pochen werden.

Wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, beginnt es einem langsam zu dämmern: das des freien Montagseintritts wegen wie eine Kirche zu besten Zeiten gefüllte Museum ist ein sakraler Raum. Leicht, allzuleicht öffnen sich die Bilder, die Szenen, die Filme auf metaphysische Lesbarkeit, vom Beginn des Lebens im Eintrittsbild bis zum Abschied mit dem Boot, das den See, den man sich dem Styx artverwandt denken kann, überqueren wird. Nicht genug damit, zwei Epiphanien ereignen sich: im hinteren Wandbild kommt es zur Sintflut, Wassermassen strömen aus dem Hauseingang, aus den diese dadurch aufsprengenden Fenstern. Und in der Unfallszene kommt es zu einer Auferstehung (wer das Plakat gesehen hat: diesem Film verdankt sich das Motiv), tropfnass, mit zurückgelegtem Kopf schwebt einer, aus dem See auftauchend, nach oben aus dem Bild. Es folgt ein Regensturm, der sich ebenso wieder beruhigt, vor dem Ende des Zyklus, wie die Sintflut.

Interessanter als die Metaphysik scheint mir hier die Rezeptionssituation. Es beginnt schon damit, wo man sich hinstellt: alle fünf Bilder zugleich bekommt man nicht in den Blick. Vor der rechten Wand sitzen wie ums Lagerfeuer die Leute und konzentrieren sich auf die beiden Szenen, wechseln ihre Position erst im nächsten Zyklus. Ich dagegen stehe in der Mitte des Raums und bleibe da. Es ist ein bisschen wie bei Mike Figgis' Film Timecode, bei dem die Leinwand viergeteilt ist in verschiedene Handlungen. Man kann nicht allen zugleich folgen. Hier wie da hilft einem die Tonspur, die bei Bill Viola zumeist ein dumpfes Grundbrummen produziert, an entscheidenden Punkten aber die Aufmerksamkeit auf Veränderungen in den Szenerien lenkt: sei es die Sintflut, das Pochen an die Tür oder das fallende Wasser bei der Auferstehung. Freilich haben auch die Bilder selbst die Faszination des Rätselhaften. Alle übrigens in einer einzigen langen Einstellung, ohne Schnitt gedreht - jedenfalls scheint es so, denn dass da jede Menge digitale Bearbeitung drin steckt, sieht man, ohne es erst mal genau festmachen zu können. Und doch stößt einen etwas ab mitten in der Faszination. Es ist ein bisschen wie ein digitalisierter, amerikanisierter, geglätteter, um die Notwendigkeit jedes Details beraubter Tarkowskij.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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