Mittwoch, 10. April 2002
wiener notizen


Kaum mehr als einen Steinwurf entfernt von der Pension Franz, an deren Wänden großformatige Ölschinken die Blicke zugleich anziehen und beleidigen, an Wänden, die pappedünn sind, domzilierte der Herr Dr. Freud und las der besseren Wiener Gesellschaft aus dem Unbewussten. Ein vergleichbarer Steinwurf in die andere Richtung trifft die Votivkirche, die entgegen dem ersten Anschein kaum älter ist als Freuds architektonischer Entwurf, ein neogotisches Frühwerk des Tausendsassas Heinrich Ferstel, der als wichtigster Vertreter eines so pompösen wie leeren Historismus nächst Karl Lueger - Dr. Karl Lueger -, dem Bürgermeister vom Jahrhundertanfang, leider ein Antisemit, das Erscheinungsbild der Stadt seit dem 19. Jahrhundert am meisten geprägt hat. Was man im Barock an Prachtentfaltung versäumt hatte, holten k.u.k. Ferstel & Co, zur Renaissance wie zum Neogotischen imstande, gerne nach. Auf kleinen Tafeln in der Votivkirche dankt man, aber gefordert wird auch: Bitte Herr, hilf weiter! Mit gutem Grund freilich, denn Erzherzog Maximilian, der die Kirche erbauen ließ, als Dank für das Misslingen eines Attentats auf den Kaiser, erlebte ihre Fertigstellung längst nicht mehr. Die Idee, ihn 1864 als Kaiser nach Mexiko zu schicken, war keine, die der Herr zu unterstützen gewillt war, das Abenteuer endete drei Jahre später mit Maximilians standesrechtlicher Erschießung. Vor der Votivkirche befindet sich der Sigmund-Freud-Park. Er ist äußerst reizlos.
[Votivkirche]

Keineswegs sind Stillleben für den, der die erzählende Malerei mag, allen Reizes bar. Im Gegenteil. Vom stillgstellten Leben, der toten Natur, geht der Reiz aus, Vorgeschichten und Nachgeschichten zu erzählen. Auf immer schwebt, im Bild, das Hackebeil über dem Kopf des Tieres und tausenfach ist es in der Fantasie der Betrachter niedergesaust. Intrikat verhandelt das Stillleben in all seinen Variationen nichts anderes als die Frage nach Leben und Tod, der Anwesenheit des Todes im Leben: am offensichtlichsten im Vanitas-Subgenre, wo Eintagsfliegen und Totenschädel dem Betrachter ihr memento mori in aller Seelenruhe zurufen. Vertrackter, wenn die Fülle, der überquellende Tisch, mit Bibelszenen in dahintergelegten Bildausschnitten kommentiert oder in nicht immer lösliche Beziehung gesetzt werden. Die Fülle selbst verweist in ihrer sinnlichen Scheinewigkeit und -unvergänglichkeit paradox erst recht aufs Vergängliche. Der einzige Trost, den die flämischen Meister zu bieten haben, ist der des vollendeten Könnens, das sich in ihren Bildern ausstellt.
[Das flämische Stilleben]

Der gute Wille ist nicht nur blind, er macht auch die schärfste Theorie noch stumpf. Wem der Moralismus zum Ausgangspunkt des Denkens und Urteilens wird, der ist nicht nur ein elender Ästhetiker, sein Wünschen verstellt ihm den Blick auf die Qualitäten des Nicht-Moralischen, auf die Wahrheit, die im Unerwünschten liegen kann. Die Kunst wird einem wie Roger Bromley (und den tutti quanti, die auf die Kunst nicht anders schauen können als mit politischem Blick), am Beispiel von Michael Hanekes Code Inconnu, von Salgados Elendsbildern, zum Ort, an dem sich Vorschläge zur Verbesserung des Menschengeschlechts einfinden sollen. Ein Glück nur, dass das Widerständige der Werke, die was taugen, auch über diese Zumutung nur müde lächeln kann.
[Tagung Narrationen im medialen Wandel]

Alexander Kluge - Adornos Assistent und vielleicht sein würdigster Nachfolger - ist ein Aufklärer, der seine ganze Hoffnung auf eine bessere Zukunft in die Unmöglichkeit der Durchrationalisierung des Menschen setzt. Der Eigensinn, das Partikuläre, Ungefüge des Individuums verhilft ihm zur negativen Utopie, dass die blendendste Ideologie an diesem letzten humanen Ende scheitern wird. Alle Globalisierung - darum ging es im Gespräch im Wiener Volkstheater - findet in den bewusst oder unbewusst widerstrebigen Einzelnen ihren Widerstandspunkt, in einer Verweigerung, hinter der nicht einmal eine obstruktive Absicht stehen muss. Der Fehllauf der Befehle als das Humanum der Systeme. Zugleich ein Bild vom Menschen, auf das sich ein großer Plan zur Verbesserung der Verhältnisse nie berufen kann: auch jede Utopie der Gerechtigkeit findet in diesem Menschen einen unzuverlässigen Bundesgenossen.
[Alexander Kluge im Volkstheater Wien]

Eine elegante Nichtigkeit, im Akademietheater Bondys Inszenierung von Yasmina Rezas "Dreimal leben". Verknüpft, wenngleich nicht allzu schlüssig, werden berufliche und Erziehungsprobleme. In den Wahnsinn treiben sich, wenngleich im Rahmen des Boulevardesken, zwei Ehepaare. Verhandelt werden, wenngleich ohne tiefere Einsichten oder Konsequenzen, Ehrgeiz und Arschkriecherei. Es vergehen schnell, wenngleich nicht allzu schnell, knapp zwei Stunden ohne alle Nebenwirkungen.
[Dreimal leben im Akademietheater]

Neben die Stirn an Stirn geklotzten alten Museen (das Kunsthistorische mit einer großartigen Sammlung alter Meister: allein der Vermeer ist den Eintritt wert; das Naturhistorische gegenüber) hat man, hinterm leicht verschämten Apricot einer Barockfront, zwei autistische Höckertiere platziert: einen geungerten hellen Klotz zur Linken, der im Innern mit Lichthof und Durchbrüchen mit angenehmen Lichtverhältnissen überrascht, und zur Rechten ein geschupptes dunkles Wesen nicht ohne Reiz, das mit der Außenwelt nur über schießschartenartige Risse in der Außenhaut zu kommunizieren scheint. Vermittelnd dazwischen ein weiterer Barockriegel. Im Leopoldmuseum zur Linken hat man neuere Österreicher auf fünf Stockwerke verteilt, die öffentlich gemachte Sammlung von Rudolf Leopold, der das alles auch noch selbst kuratiert hat. Das Ergebnis ist katastrophal. Ein hoffnungsloses Durcheinander, in dem Zweitklassiges mit Drittklassigem konkurriert. Die Lichtblicke, von zwei Räumen mit zum Teil exzellenten Schieles abgesehen, sind zu selten, als dass sie den Zorn über all das hirnlose Gepinsel besänftigen könnten.
[Museumsquartier Wien]

 
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