Montag, 10. Januar 2005
fritz j. raddatz: unruhestifter

Dass, wer ehrlich über sich schreibt und das, was ihm begegnet und wie es ihm begegnet, als Beschreiber dieser Selbst- und Weltverhältnisse nicht durchweg Gutes zu berichten hat, über sich und die Welt, sollte nicht verwundern. Erst will man nicht verstehen, dass Raddatz sich unentwegt verfolgt, gekränkt und ausgegrenzt fühlt im Angesicht einer Karriere, die ihresgleichen in der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht hat. Dann aber wird klar, dass diese Autobiografie die Geschichte eines kolossalen Liebesanspruchs erzählt: Raddatz möchte geliebt werden mit Haut und Haar, als der, der er ist, mit allen Macken und Stärken, und zwar von der ganzen Welt, die ob dieser Maßlosigkeit wahlweise mit Erstaunen und Verachtung, mit Empörung und Bewundern, kaum aber mit Anerkennung oder gar Liebe reagiert. So sind es einerseits die Maßlosen, in denen Raddatz sich wiedererkennt, in Ledig-Rowohlts weltverschlingendem Charakter, in Hans Mayers bodenloser Eitelkeit, in der namenlos bleibenden „Mondänen“, die das Leben verfehlt im panischen Bemühen, es nicht zu verfehlen. Zugleich, und ebenso maßlos, bleibt Raddatz aber ein Moralist, der im Grunde seines Herzens nichts anderes als den Sozialismus für eine halbwegs menschengerechte Einrichtung der Welt und der Gesellschaft hält. Und darin unterscheidet er sich von denen, die sich alle Selbsterkenntnis haben abkaufen lassen, oder genauer: sie sich selbst abgekauft haben, zuletzt doch um etwas mehr als ein Weniges. Kein Wunder, dass Augstein ihm als Dämon des Kleinlichen erscheint: Er ist ein Raddatz inversus, das, was Raddatz wäre, wenn er nicht Raddatz wäre. Bedenkenlos, Sklave der Macht, die er hat und die er, um die eigene Versklavung zu verdecken, im Privatjetflug durch deutsche Lande, in der Kujonierung der sich ihm Nahenden, ohne Unterlass präsentieren und demonstrieren muss.

Zugleich kann Raddatz nicht anders, als Teil all dessen sein zu wollen. Er spielt seine Rolle auf schmalem Grat, als einer, der im Mitmachen die Mitmachenden verachtet. Und doch liegt darin ein Unterschied ums Ganze, denn ihm wird noch kalt, wo Kälte ist und heiß, wo Hitze ist. Es gibt kein wahres Leben im Falschen, für kaum einen, scheint es, passt das Klischee wie für Raddatz, denn er lebt das falsche Leben in vollen Zügen und wird doch nicht froh, weil er ums Falsche weiß und nie lernt, dieses Wissen zu verdrängen oder auch nur zu verleugnen. Es zerreißt ihn und weil alle anderen Macht üben, um diesen strukturellen Riss zu verleugnen und in diesem Verleugnen ihn tatsächlich zur eigenen Lebenslüge kitten, er aber genau das nicht tut, das Üben der Macht durch Ausstellen der eigenen Verletztheit ersetzt, verachten sie ihn als Mimose, als allzu leicht Gekränkten. Seine Gekränktheit aber ist nichts als das Seismogramm der verallgemeinerten Rücksichtslosigkeit.

Darum kann er sich selbst nicht recht fassen, den Kaviar und die Austern verschlingend, die ihm gereicht werden – und die Austern wieder auskotzend, als man ihm den Chefposten im ZEIT-Feuilleton anbietet, den er nimmt. Raddatz kotzt und akzeptiert, er akzeptiert und kotzt, und zwar zu gleicher Zeit, schlagender lässt sich sein Leben nicht zusammenfassen. Er schüttelt der Milliardärin Getty die Hand, er erkennt die ihm zugedachte Rolle des Hofnarren in der demi monde der Superreichen – und akzeptiert sie, die Distanz wahrend und markierend. Er spaziert nackt mit Augstein am Sylter Strand – und konterkariert in der Erinnerung diese Demonstration nackter Macht durch den Verweis auf die Schwänze, die da baumeln, verstohlen gemustert von denen, die da König spielen.

Raddatz, und wie sehr spricht das für ihn, kann nicht nur niemals restlos Teil des verkommenen Ganzen werden, das der Kultur- und Weltbetrieb ist, er muss zudem in den Rollen, die er ruhm- und wirkbegierig spielt, seine Unzugehörigkeit immer mitmarkieren. Er hält die Augen offen und seinen Sinn fürs Moralische. Und er tut Dinge, die sich nicht gehören. Und er tut sie nicht nur deshalb, weil sie sich nicht gehören. Er kämpft für seine Überzeugungen, im Rahmen des beim gleichzeitigen Mitmachen Möglichen. Er verwechselt das wohl gelegentlich mit Radikalität und schon das sagt eigentlich alles über die Verhältnisse, in denen er als Radikaler erscheinen kann. Raddatz sprengt manchmal den Rahmen des Möglichen, aber immer nur so, dass es den Begriff, den die Spießer, mit denen er es zu tun hat, sich von der Abweichung machen, nicht übersteigt. Er fällt von einem extra für ihn gemachten Bett ins nächste und spürt doch, dass man ihn seiner Brillanz wegen duldet, nie liebt. Dennoch versteht es sich von selbst, dass ihm ausgerechnet die Mitmacher und Arschlöcher des Betriebs nun, bloßgestellt von einem, der allerlei zu verbergen hätte, aber nicht verbirgt, Indezenz vorwerfen, also den Verzicht auf die Sekundärtugend der Diskretion, die nichts ist als justament das, was die Verkommenheit zusammenhält.

Am Ende seines Lebens sagt und schreibt Raddatz, was er denkt und empfindet. Er rächt sich an der Welt, die ihm eine sagenhafte Karriere verschafft hat, ohne ihn lieben zu können und zu wollen. Der Blick der Rache aber ist ein klarer Blick. Es ist der Blick eines enttäuschten Liebenden. Im Nachkriegs-Kulturbetriebsreich der Riesenzwerge war und ist er ein Riese und das weiß er und sagt er. Wo den Abgründen verlogener Selbstgerechtigkeit die Spur von Abgründigkeit noch fehlt, wie im Fall der Gräfin Dönhoff, da stellt er das schlicht fest. Als die lächerliche und unter großem Gefuchtel Korinthen kackende Gestalt (unglücklicherweise mit Macht), die er war, wird Helmut Schmidt kenntlich. Die ZEIT, für die Raddatz Jahrzehnte gearbeitet hat, porträtiert er als bundesrepublikanischen Markt (aber noch nicht einmal: Jahrmarkt) des Kulturspießertums und hanseatisch gebremst schäumender Eitelkeiten. Natürlich muss auch da Raddatz wieder mitmachen und natürlich will er von Bucerius noch geliebt werden, der doch im wesentlichen das verkörpert, was Raddatz verabscheut. Wie sehr Ambivalenz und der gelebte Kompromiss großes Melodrama sein können, fernab von aller Fadheit, auch das lässt sich hier lernen.

Und natürlich ist Raddatz nicht nur ein enttäuschter, sondern auch ein großer Liebender, einer, der als Liebender die Erfüllungen und die Enttäuschungen zur Neige kostet. Gerade weil er ihre Makellosigkeit nicht behauptet, lässt er Ledig-Rowohlt und Mary Tucholsky, seine Schwester und die Freundin Ruth, im Blick seiner Liebe als unvergessliche, ja große Gestalten erscheinen. Gerade in seinen Übertreibungen ist Raddatz ehrlich, wird die Mitwelt zur Kenntlichkeit entstellt. Das Ich, das sich hier vorstellt, ist nicht edel, aber schonungslos. Raddatz stellt seine Verletztheiten aus, gewiss nicht ohne Selbstmitleid. Aber noch etwas lehrt einen diese Autobiografie: Wie im grandiosen Selbstmitleid mehr weltzugewandte Größe stecken kann als in einer Noblesse, die im Grunde zu nichts verpflichtet, in einem Taktgefühl, das über Gerechtes wie Ungerechtes gelangweilt schweigt. Und noch etwas: Das Ich, das da schreibt, das kann man vielleicht nicht bewundern, aber hassen oder lieben wohl, in seiner ganzen Ambivalenz. Darum ist das eine Liebeserklärung, an ein Leben, an ein Ich.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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