Mittwoch, 11. Dezember 2002

Meine Oma war seit Jahren dement, aber sich vorzustellen, was das heißt: das geht eigentlich nicht. Mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut, hat sie manchmal gesagt, danach hat sie sich fröhlich unterhalten mit der Frau aus dem Zimmer nebenan, die ebenfalls dement war. Sie haben sich immer dieselben Geschichten erzählt, höre ich, und immer an denselben Stellen gelacht. Das klingt komisch, ist es aber nicht. An ihren Mann, der vor wenigen Jahren gestorben war, hat sie sich bald kaum mehr erinnert, ich glaube nicht, dass die beiden sich je geliebt haben (aber was weiß ich schon?). Die letzten Jahre bin ich nicht mehr hingegangen, ins Altenheim. Gelegentlich habe ich mich geschämt, weil ich keine Lust mehr hatte, sie zu sehen. Sie vergisst es doch wieder, sagte ich mir, sie kann sich nichts merken, man muss ihr immer wieder erzählen, dass ich verheiratet bin und sie wird immer dasselbe darauf erwidern.

Manchmal hat sie geweint. Sie hat sich kleine Zettel geschrieben, Botschaften an sich selbst, die sie nicht vergessen durfte. Eine Paranoia-Welt: Sie haben mir meine Wohnung weggenommen. Wo ist der Schmuck? Wo ist das Geld? Hier steht etwas, sagte sie, wenn sie auf einen der Zettel stieß, die Schrift hat sie als ihre eigene erkannt. Ich will zurück in meine Wohnung. Es waren hunderte von Zetteln, ein, zwei Sätze, eine Produktion falschen Erinnerns und kein Weg mehr zurück in die Wirklichkeit. Wenig hat mich mit meiner Großmutter verbunden, dabei habe ich sie oft besucht, sie wohnte immer in derselben Stadt. Wir haben Mensch ärgere Dich nicht gespielt und später Scrabble, noch später habe ich für sie das Kreuzworträtsel in der Frau im Spiegel zuende ausgefüllt, da hatte sie schon vieles vergessen von der Welt. Bei der Beerdigung stand ich am Grab und wusste nicht, was ich fühlen sollte. Ich wusste nicht einmal, was ich fühlte.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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