Donnerstag, 6. Februar 2003
Forum: Edi

Edi ist der erste Spielfilm des knapp 40-jährigen Polen Piotr Trzaskalski und der Film macht Lust auf mehr, soviel sei schon zu Beginn gesagt. Mit wenigen Strichen wird eine Geschichte skizziert, die geradlinig seine Hauptfigur in furchtbare Verwicklungen führt, sie befreit, herumwirbelt und wieder an den Ausgangspunkt zurückkatapultiert. Edi und sein Freund Jureczek leben in Warschau in ärmlichen Verhältnissen in einer Lagerhalle. All das was die besser gestellten der polnischen Hauptstadt achtlos wegwerfen, sammeln die beiden ein und machen es zu Geld. Die paar Kröten werden dann im Handumdrehen in einer Spelunke in Alkohol umgesetzt. Edi ist in diesem Milieu ein Sonderling, jemand der selten den Mund aufmacht und Bücher in Unmengen verschlingt. Jemand, der zwei dubiosen Alkoholhändlern weltfremd genug erscheint, als dass sie ihm ihre 17-jährige Schwester anvertrauen. Edi soll ihr bei den Schularbeiten auf die Sprünge helfen. Kurz darauf ist sie schwanger.

Trzaskalski, der auch das Buch schrieb, braucht nach dieser Exposition nur wenige Szenen, um die komplexen Beziehungen zwischen seinen Figuren zu entwickeln. Aus Angst um die Entdeckung ihres Freundes, beschuldigt das Mädchen Edi der Vergewaltigung. Wenig später machen ihre Brüder kurzen Prozess, verstümmeln zunächst Edis Männlichkeit, um ihm 9 Monate später den "Bastard", das unwürdige Baby der Schwester, in die Hand zu drücken und ihn aus der Stadt zu treiben. Edi, Jureczek und das Kind landen schließlich mittellos auf dem Land, bei Edis Exfrau und deren Mann, der damals, so klingt es an, nicht nur Edis Frau, sondern dessen gesamtes Leben "gestohlen" hat.

Was nach einem trostlosen Trauerspiel klingt und Erinnerungen an schwer durchzustehende Berlinalebleigewichte wie etwa Fred Kelemens "Frost" weckt, gerät Trzaskalski zu einer Studie über Lebensmut und Zivilcourage. Im ersten Drittel des Films fragt der überforderte Jureczek seinen Freund, warum zum Teufel er ständig seine Nase in diese vermaledeiten Bücher stecken würde, die ihm doch offensichtlich keinen Zloty einbrächten. Knapp entgegnet Edi, das sie ihm etwas viel wichtigeres einbrächten: inneren Frieden. Später schenkt er einem kleinen Jungen ein Spielzeugauto. Ja aber, fragt Jureczek, heute sei doch gar nicht Weihnachten? Weihnachten ist immer dann, entgegnet Edi trocken, wenn man es will. Das sind bei Trzaskalski nie Plattitüden sondern vielmehr aus genauer Beobachtung entstandene, treffende Beschreibungen einer Haltung, die der Aggressivität des Umfelds die einzig richtige Antwort zu geben scheint.

Mit der neuen Aufgabe, der Sorge um das ungewollte Kind, gelingt ihm sogar die Bewältigung seiner Vergangenheit und im Schoß der neugefundenen, zusammengewürfelten Großfamilie auf dem Land, die Erfahrung von Glück und Liebe. Als sich in der Stadt die Verhältnisse geklärt haben freilich, bricht die "Realität" in Form des protzigen BMWs in die Idylle ein. Edi verliert abermals alles und landet am Ende wieder dort, wo alles begann. Auf den Straßen Warschaus, mit einer kleinen Karre voller Schutt. Jureczek trottet neben ihm her, verzweifelt, will wissen wozu ihr Leben denn noch gut wäre. Edi antwortet unverzagt: es ist unseres.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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