Mittwoch, 12. Februar 2003
Blinder Schacht (Li Yang, Hongkong, China, D 2002)

Song und Tang, zwei Freunde, haben eine hübsche kleine Geschäftsidee. Schließlich ist jetzt Kapitalismus in China, und man tut, was man kann. In der Stadt gabeln sie Arbeitslose auf, versprechen ihnen einen Job im Bergbau und geben sie dort dann als enge Verwandte aus, der Bruder, der Neffe, wie es kommt. Ein paar Tage später gibt's einen Schlag auf den Kopf, das lässt sich problemlos als Folge eines eingestürzten Stollendachs ausgeben. Die Besitzer der Minen betreiben ihr Geschäft, versteht sich, ohne Rücksicht auf irgendwelche Sicherheitsvorschriften und zahlen an die vermeintliche Verwandtschaft Schweigegelder. Song und Tang leben gut davon, eine veritable kleine Wir-AG, ganz die Sorte pfiffigen Unternehmergeists, an der anderswo tief gefühlter Mangel herrscht.

Es versteht sich von selbst, dass Regisseur Li Yang zunächst einmal eine Karikatur der Verhältnisse im heutigen China zeichnen will, die die Wirklichkeit ins Erkennbare entstellt. Es ist interessant, dass Song und Tang dem Zuschauer vom ersten Bild an nicht als grausame Mörder vorkommen wollen, sondern als im Grunde ganz nette Kerle, die von den Verhältnissen gezwungen werden, krumme Wege zu gehen. Das weiche Herz des einen wird, ganz folgerichtig, beiden dann zum Verhängnis. Ihren ersten Mord handelt der Film noch kurz, knapp und trocken ab, um sich dann auf das nächste anvisierte Opfer zu konzentrieren: den 16-jährigen Yuan. Nicht nur Song, sondern auch dem Zuschauer wird er schnell sympathisch, naiv wie er ist und voller Ehrgeiz, das Schulgeld aufzutreiben in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

"Blinder Schacht" ist eine exemplarische Geschichte und doch zugleich von einer Genauigkeit, die fast dokumentarisch anmutet. Die Herkunft des Regisseurs vom Dokumentarfilm wird deutlich in den Bildern aus der Stadt, in der die Mörder ihren Schützling in ein Bordell schicken - er soll nicht als Jungfrau sterben -, und in den Bildern, die die brutalen Bedingungen zeigen, unter denen die Bergwerksarbeit stattfindet. Schmutzig ist die Baracke, in die die drei gesteckt werden, notdürftig überkleben sie die Wände voller ausgebleichter Pin-Up-Poster mit Zeitungspapier.

So finster die Umstände sind, die "Blinder Schacht" schildert, so objektiv zynisch die Lage der Dinge ist: Von gelegentlichen Überdeutlichkeiten abgesehen, macht der Film nicht zu viel Aufhebens davon. Er funktioniert als emotionale Geschichte im kleinen Format wie als dokumentarischer Einblick in ein China, dessen brutale Transformation in eine kapitalistische Gesellschaft im Westen weitgehend unbekannt bleibt. Mit den nicht nur finanziell, sondern gewiss auch ästhetisch beschränkten Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, wirft Li Yangs Film ein Schlaglicht auf das heutige China. Ein kleiner Film, aber durchaus das, was man sich von einem als politisch deklarierten Festival erhoffen darf.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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