Mittwoch, 20. Juni 2007
frische wasser

Gestern hat mich ein Student befragt, für seine Magisterarbeit, zum Thema Filmkritik. Was ihre Aufgabe ist und ihre Funktion, ob ästhetische oder ideologiekritische Kategorien wichtiger sind, aber auch, ob Filme Kunst sind oder Unterhaltung, ob sie die gesellschaftliche Wirklichkeit widerspiegeln und so weiter. Wahrscheinlich bin ich ihm auf die Nerven gegangen, weil ich immer wieder gesagt habe: Das ist die falsche Alternative. Oder: Das kommt doch sehr darauf an, was Sie mit Kunst meinen. Oder: Ist Widerspiegeln da der richtige Begriff? Das habe ich dann jeweils weiter erläutert, wie ich das meine. Warum man diese Alternativen erst einmal auflösen muss, bevor man mit ihnen arbeiten kann, wenn überhaupt. Warum man über Begriffe erst einmal nachdenken muss, bevor man versuchen kann, mit ihnen etwas zu fassen zu bekommen und zu treffen. Das hat mich stutzig gemacht, ungeduldig und stutzig, all das Kompakte, das schon Vorgedachte, das da auf eine kompakte Antwort wartete, auf ein Ja oder Nein.

Dabei wäre ein ja oder nein kaum mehr als ein Geräusch; ein Geräusch vielleicht, das den, der da eine Frage zu haben glaubt, glücklich macht, weil es eine Erwartung erfüllt, aber doch nur ein Geräusch, das der Welt nichts hinzufügt, das lautlos ins Raster des schon lange Gedachten sich fügt. Und das hat mich ratlos – nicht sprachlos - gemacht, der Glaube, dass man so hässliche, dicke, ungelenke Wörter nehmen kann und mit ihnen denken wollen. Als zöge man sich klobige Holzpantinen an die Füße zum Tanzen. Das ist aber kein Denken, weil man doch erst einmal klären muss, was das für Wörter sind und wie sich der Gegenstand, dem man sich nähert, ihnen fügt oder wie das ganz ungefügt ist, Unfug, sich ihm mit diesen Wörtern und Begriffen zu nähern.

Und habe mich doch gefragt, ob man die Welt belästigen soll, die Welt, die doch ganz glücklich ist ohne solche Belästigung, mit diesem sehr grundsätzlichen Gefühl, dass dieses eingeforderte Sprechen und Schreiben da ansetzt, wo alles schon verloren ist. (Nicht wie eine Schlacht verloren; sondern wie eine Herkunft, eine Heimat verloren.) Und dass ich diesem Sprechen und Schreiben auch verfalle, auch sehenden Auges und dass das unvermeidlich ist, will man Gehöhr finden, und dass natürlich ein wirkliches Anfangen gar nicht möglich ist. Und dass trotzdem zurückgegangen werden muss zur Klärung. Obwohl Klärung nicht einmal Klarheit herstellt, weil die Wahrheit eher unklar ist als klar. Weil gerade die Gewalt, die das Denken den Dingen antut, das ist, was wir unter Klarheit uns leichtfertigerweise vorstellen. Und die Dinge, wenn sie Dinge sind, die wir Kunst nennen, sind gar nicht klar. Die Sprache, da wo sie Sprache ist und nicht Kommunikation, ist gar nicht verständlich. Das Denken, wo es den Dingen sich nähert, sich im Nähern sich und das Ding zu klären versucht, ähnelt sich dem Ineinander, das das Ding zum Ding macht, an, einem Ineinander, das aber kein Kompaktes ist, sondern eine Wirre aus Fäden, die in der Klärung vielleicht als Wirre sichtbar wird, aber nicht etwa unwirr. Und dass das, die Anerkenntnis einer Wirre, der man klärend sich nähert, ohne eine Klarheit herzustellen, dass genau das doch die Aufgabe von Kritik wäre vielmehr

Ist.

Aber als ob das so einfach wäre, als ob nicht hinter die Rede von der Klärung, der Wirrnis, hinter diese ganze Rede, auch die vom Gehen, nicht auch noch zurückzugehen wäre. Als ob nicht die anprobierten Metaphern wieder verworfen, die benutzten Wörter wieder verstoßen werden müssten. Und wie die Geduld für all das, was man vielleicht einmal Begriffsarbeit genannt hat, verschwunden scheint, wie eine Ungeduld um sich zu greifen scheint. Wie ich selber ungeduldig werde mit dem, was ich hier schreibe. Weil es mir vorkommt, als sei es eigentlich die älteste Erkenntnis der Welt, als wäre es fast peinlich, es noch einmal zu schreiben, die alte Leier.

Neulich hat mir einer geschrieben, als Reaktion auf einen Artikel, von den "abgestandenen Wassern" der Kritischen Theorie, die er da wiederfinde, in dem Artikel. Aber ich fürchte, ich kenne die frischen Wasser nicht. Ich bin mit den frischen Wassern nicht gewaschen und weiß nicht, wo man mit ihnen wäscht. Und ob die Sachen davon sauber werden und weiß und klar? Ich weiß es wirklich nicht. Ich war nur ratlos gestern – nicht sprachlos -, und dachte mir nun, als ich mich an den Schreibtisch setzte, dass dies hier der Ort ist, womöglich der einzige, an dem ich das jetzt hinschreiben möchte, weil dies hier, das habe ich gestern auch gesagt, ein Ort ist, der einzige womöglich, an dem ich an mich selbst schreibe. Oder anders: hier imaginiere ich mir eine denkbar kluge und feine Leserschaft, eine geduldige Leserschaft, die nichts von mir erwartet, eine Leserschaft, der ich nichts erklären muss, das ich schon wüsste, eine Leserschaft, die jedem Wort gerecht zu werden versucht ohne Ungeduld, ein ideales Wesen also alles in allem, das zu sein oder werden ich wie jeder Leser nur träumen kann.

Edit: Telefongespräch mit dem Interviewer, der mich bittet, ein paar Dinge in ein etwas faireres Licht zu rücken. Was ich gerne mache. Dass die Fragen, die er stellte, Provokationen waren, die Reaktionen hervorlocken sollten, und nicht seine eigenen Ansichten, leuchtet mir ein. Es handelt sich um eine qualitativ vorgehende Arbeit, d.h. es gibt zwar so etwas wie formatierte Fragen – der Vergleichbarkeit der Antworten wegen -, aber kein striktes Schema, in das dann auch noch die Antworten zu passen hätten. Es ist und bleibt freilich das Vorformatierte, das mich so ratlos gemacht hat. Ich glaube aber, dass das gerade der wissenschaftlichen Methode bzw. der Formatierung "Wissenschaft" geschuldet ist. Einer Formatierung, mit der ich meine Probleme habe – und um diese Probleme geht es im ursprünglichen Blogeintrag auch -; im Rahmen einer so formatierten Arbeit war, das meine ich jetzt völlig ernst, wenn auch als durchaus zweideutiges Kompliment, das Vorgehen meines Interviewers ganz und gar professionell. Meine Reaktion war, wie ich im Kommentar schon schrieb, nicht gegen ihn persönlich gerichtet (wir haben so gut wie kein persönliches Wort gesprochen), sondern gegen den Diskurs - der Wissenschaft, des verbreiteten Denkens über Film, Kritik und das Denken und Schreiben -, mit dem ich mich in seinen Fragen konfrontiert sah.

Ich habe ihn im übrigen gebeten, das hier selbst zu kommentieren - da ihm aber insgesamt unwohl ist beim Gedanken, dass seine laufende Forschung hier so "öffentlich" gemacht wird, möchte er das lieber nicht tun.

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