Samstag, 13. Oktober 2007
edition meister

"Edition Meister" machen im Herzen Berlins am Potsdamer Platz Musik. Aller Art: - Filmmusik / Werbemusik, - Musikberatung/Recherche - Vertonung von Imagefilmen, - Musikproduktion, - Organisation von Orchesterproduktionen (Orchester, Studio, Tonmeister, Noten etc.). Ich komme darauf, weil ich gestern die jüngste Folge von "Der Kriminalist" gesehen habe, Freitagskrimi im ZDF. Regie geführt hat, wie schon bei der einzigen anderen Folge, die ich kenne, Thomas Jahn, der einen Moment lang sehr berühmt war, als Taxifahrer, der Til Schweiger zum Riesenerfolg verhalf mit "Knockin' On Heaven's Door", das war 1997. "Der Kriminalist" ist ein Qualitätsprodukt. Thomas Jahn macht Qualitätsfernsehen, "Edition Meister" machen Qualitätsmusik, Christian Berkel und Frank Giering als Ermittler sind Qualitätsschauspieler. Als Qualitätsschauplatz tritt auf: Berlin. Die Geschichte gestern ging so: Ein Graffit-Sprayer hat als Kind (drei Jahre) Eltern und Geschwister verloren. Infolgedessen ein Familientrauma. Das sprüht er nun verschlüsselt über die ganze Stadt, mit Dreieckssymbolkonstruktionen, darauf kommt der Kriminalist so circa in Minute siebenunddreißig. Verschlüsselt heißt: blaues Dreieck Mann, rotes Dreieck frau, gelbes Dreieck Kind. Verwandtschaftsverhältnisse ablesbar an Dreieckskontaktkonstellationen. Der Sprayer mit Familientrauma trifft auf traumatisierte Familie, als er ein Gespräch belauscht. Der Qualittätssprayer (Gabriel heißt er, erfahren wir circa in Minute achtundzwanzig, wie der Erzengel) ist im Qualitätsstadtraum quasi allgegenwärtig. Ja, er verkörpert die Stadt, postum allerdings, als Toter, der er ist, habe ich das zu vergessen erwähnen: er ist tot, von Anfang an tot, als Toter im falschen Grab gefunden, mehr noch: auf dem Friedhof getötet durch Stromschlag beim Griff in den Papierkorb mit dem erpressten Geld. Ja, eine Erpressung, egal. Berlin kommt auf folgende Weise ins Bild: Als Hintergrund, unscharf meist, oder nach kurzen Schärfemomenten auf unscharf gestellt. Im Vordergrund: Der Kriminalist, Christian Berkel mit fotogener Qualitätsglatze. In Panoramen, mit Schwenks, immer nur kurz, ohne Verbindung zur Diegese. Das ist alles sehr schnell geschnitten, Vorbild: Amerika. Geografisch bewegt es sich sehr durcheinander. Straßennamen werden genannt: Muskauer Straße. Mainzer Straße. Bezirke werden genannt: Friedenau. Wilmersdorf. Der Graffiti-Sprayer, die Graffitis, die Stadt. Verkörperung des Stadtraums, Behauptung seiner Lesbarkeit. Neben dem Schlüsselgraffiti ein Plakat für ein Pollesch-Stück im Prater ("Tod eines Praktikanten"). Ein Qualitätsanspielungszufall, den die Stadt sich erlaubt? Oder doch Absicht? (Harald Schmidt hat neulich im Zeit-Interview von einem Pollesch-Stück geschwärmt. Vielleicht bald Harald Schmidt in der Volksbühne, das wär doch was. Übrigens: Pollesch, ZDF/Kleines Fernsehspiel 1997: "Ich schneide schneller".) Die Stadt spricht aber auch mit der Musik der "Edition Meister", die alles kann, elektronisch blubbern zum Beispiel. (Elektronisch, das sei nicht vergessen, gab es auch schon bei Derrick, vom großen, vom unvergessenen Frank Duval, Vangelis für Arme, der aber, wenn ich mich recht erinnere nicht am Potsdamer Platz saß, sondern auf einer spanischen Insel, eventuell Mallorca, und von da seine Synthesizersentimentalpathetiken nach München schickte.) Ach, erträumtes Mallorcaderrickmünchen. Unvergessen. Keine Stadtkörpersemiotiken, sondern Reineckerwohlstandsklischeesynthese. An Derrick zu denken konnte man nicht umhin gestern Abend, denn das erlauschte Familientrauma als Lebenslügenzerlegungsgraffitimordfall, das war, rein psychokonstellativ gesehen, klare Reineckerkopie. Man muss sich allerdings fragen, warum Nils, der belogene Sohn seines Großvaters, kein Musikinstrument spielte. Bei Reinecker haben diese Söhne oder auch Töchter in meiner Erinnerung immer Musikinstrumente gespielt. Alles jetzt auf die "Edition Meister" verlagert, die auch Berliner HipHopstadtraummusik spielen kann. Im ZDF! Im Freitagskrimi! Qualitätsmodernisierung im Graffitistadtraum Berlin. Mit München ginge das nicht, nie und nimmer, siehe nur Siska. Und noch etwas ist anders: Bei Reinecker, glaube ich mich zu erinnern, haben die Musikinstrumente spielenden Töchter und Söhne am Ende immer ihre sie belügenden Väter und Mütter getötet und Derrick und Harry kamen zu spät, oder, anders gesagt, gerade rechtzeitig für den freeze frame als Tragikcumkatharsisbildverkörperung. Man ging, früher, durch Münchner Millionärstragödien kathartisch aufgeräumt ins Wochenende. Heute: HipHop! Unerlöst ins Scheiß-Zuhausehotel.

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