Freitag, 18. Februar 2005
Berlinale. Nobuhiko Obayashi: Riyuu (Japan 2004, Panorama)

Vier Tote, ein komplizierter Mordfall, bei dem die Dinge anders liegen als man denkt, und seine gründliche Aufarbeitung. Es gibt zwei ermittelnde Polizisten, es gibt einen Kreis von Verdächtigen. Dennoch ist "Riyuu" kein Film, der den Konventionen des Kriminalgenres gehorchte. Schon deshalb, weil der Kreis der Verdächtigen um einen Kreis der Beteiligten, der Nachbarn, der Zeugen und weiterer Personen erweitert wird, denen teils ausführlichere Porträts gewidmet sind. Dieser Mord berührt, wie sich zeigt, eine Unzahl von Personen, mit großer Geduld öffnet der Film eine Tür nach der anderen, zeigt, erzählt, berichtet. Man verliert irgendwann ein wenig den Überblick, aber das ist durchaus Absicht, es macht nichts, ja, es mindert nicht einmal die Spannung, mit der man dieser Entfaltung bis zuletzt folgt.

"Riyuu" gibt sich als Mischung aus Dokufiktion und Spielfilm. Ein Filmteam sucht die Beteiligten auf, rekonstruiert das Geschehen, führt Interviews. Die Dokuszenen gehen bruchlos in die Spielfilmszenen über und der Film unternimmt keine besondern Anstrengungen, den Fake-Charakter der Dokumentation zu verhehlen. Dafür leistet er sich kleine Scherze wie den, immer wieder jemanden ins Zimmer treten zu lassen, der dem Dokufilm-Team, das man nicht sieht, etwas zu trinken anzubieten. Das geschieht aber eher nebenbei, es ist ein Spiel, kein Ernst gemeinter Kommentar zum Verhältnis von Dokumentation und Fiktion. Liebenswert ist "Riyuu" für seinen hübsch unterkühlten Humor, auch für den Sinn fürs Detail, der sich beispielsweise in einem rosa Kleidchen fürs Telefon, das man nur ganz kurz zu Gesicht bekommt, ebenso ausdrückt wie in der sanft verstrubbelten Frisur des Hausmeisters, der nachts aus dem Bett geholt wird.

Man hat mit Nobuhiko Obayashis "Riyuu" zudem das seltene Erlebnis, von einem Film in seine ganz eigene Welt gezogen und dann auch auf die Länge von 160 Minuten in ihr geradezu aufgehoben zu werden. Dem Dokucharakter zum Trotz setzt die kluge Regie ihre Authentizitätssignale stets nur zum Schein. Es dominieren die falschen Farben, körniges Bild-Geriesel, und immerzu spielt die Musik dazu. Ich kann mich täuschen, aber mir scheint, es bleibt kein einziges Bild ohne Musik. Erstaunlicherweise ist das hier eine wunderbare Sache. Es funktioniert ein wenig wie bei Wong Kar-Wei, als der noch nicht ins Kunstgewerbe weggedriftet war. Die Musik signalisiert nicht, was wir fühlen sollen, sie verdoppelt nicht das, was ohnehin zu sehen ist, sondern sie hat eigenweltstiftende Funktion. Der Film schafft sich und uns und seiner Geschichte einen eigenen Kosmos, entfaltet ihn mit großer Sorgfalt. Das Genre des Kriminalfilms hätte sich eine solche Variation nicht träumen lassen. Was kann man über Genrefilme besseres sagen?

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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