Donnerstag, 2. Juni 2005
dolly

Ich frage mich öfter, wie einer zum Star wird oder Stichwortgeber in der Wissenschaft. Gestern zum Beispiel ein ziemlich unsäglicher Vortrag von W.J.T. Mitchell, der in weiten Bereichen der Kunstgeschichte und Medientheorie ein Mann von Einfluss ist. Er hat irgendwann das Buzzword vom "pictorial turn" erfunden und führt nun, da er den Kamm hat, über den er alles, was irgendwie nach Bild aussieht, scheren kann, munter zusammen, was bei näherer Betrachtung nicht zusammengehört (oder vielleicht gehört es nach eingehenderer Betrachtung dann doch zusammen: die aber bleibt bei Mitchell in jedem Fall aus). In seinem gestrigen Vortrag etwa ohne Scheu und übers rein Assoziative hinaus reichende Erklärung das Klonschaf Dolly (selig) und das World Trade Center (selig). Heraus kommt wenig sachdienliche Gratis-Empörung über Georg W. Bush und die in ihrer Steilheit doch verblüffende These, dass die US-Regierung alle Terrorwarnungen überhörte, weil sie zu sehr mit dem Klonen bzw. seiner Verhinderung befasst gewesen sei. Weitere Auftritte haben, wahllos, Osama Bin Laden, Saddam Hussein (als fallende Statue, beim Zahnarzt), Täter und Opfer in Abu Ghraib, Terroristen egalwie, George Lucas' Klonkrieger (auch wenn Mitchell sie immer wieder Steven Spielberg unterjubelte), Jurassic Park. Die Gunst des Publikums hat Mitchell sich damit erkauft, dass er zu Beginn seinen Verzicht darauf erklärt, den Text, der ostentativ auf dem Tisch lag, vorzutragen, da das seine drei bis vier Stunden gedauert hätte. So spricht er frei und dann wird eben locker und lässig nach dreißig Minuten die Zeit schon lang. Zum Einsatz kommt die Power-Point-Präsentation, mit deren Hilfe Bild an Bild an Bild gereiht wird. Aber vielleicht liegt genau darin die tiefere Logik von Mitchells Erfolg: Er ist der perfekte Wissenschaftler der Power-Point-Generation, nährt sich von der Schein-Evidenz ähnlicher Bilder, lässt ein anthropologisches Grundbrummen mitlaufen (urtümliche Angst des Menschen vor dem eigenen, mithin geklonten Bild) und liefert zu allem Überfluss noch die windige Medientheorie, mit der sich die Zusammenhänge von Bild und Logik von den Füßen auf den Kopf stellen lassen.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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