Donnerstag, 4. August 2005
zehn wege 1: zu maurer (über uhlandstraße)

Am Ausgang aus dem geteerten Garagenhof rechts. Die Haltebuchten zur Beruhigung des Verkehrs, die ich jetzt vor mir sehe, kamen später, zweite Hälfte der achtziger Jahre, in einem etwas vagen Sinne gewiss den Grünen zu verdanken, die es jetzt, sagen wir 1979, noch gar nicht richtig gibt. (Aber was weiß ich schon, acht Jahre alt.) Gehsteig entlang an einem Holzzaun, der über die Jahre niedriger werden wird. Noch ist er sehr hoch. Die Latten x-förmig gegeneinander geschert, jenseits des Zauns, über den ich sehr selten geklettert bin, nur ein Rasen. Der Rasen ist sehr langweilig, es ist der Rasen des ADAC-Hochhauses. Zu jedem Haus, glaube ich zu wissen, gehört eine im Verhältnis zum Haus genau berechnete Rasenfläche, jedenfalls hier, bei uns, und da das ADAC-Hochhaus sehr hoch ist, es ist das höchste Haus der Stadt, ist der Rasen sehr weitläufig. (Vielleicht der erste Eindruck von einer nicht genau begrenzten, nicht mit einem Gedanken zu fassenden Fläche.) Zugehöriger Mythos: Man hat mir erzählt, dass es einst eine Abstimmung gab, unter den Bewohnern des ADAC-Hochhauses, als sie gerade eingezogen waren, und dass diese Abstimmung zum Beschluss geführt habe, es solle ein Fußballplatz entstehen, auf dem großen Rasen vor dem hohen Haus. Das ist aber nie passiert. (Frühe Erfahrungen mit Demokratie.) Es gibt nur einen auch nicht sehr aufregenden Spielplatz am hinteren Ende, abgegrenzt durch eine niedrige Hecke mit dornigen Büschen, auf den man über den Zaun in der Lücke zwischen zwei Garagenreihen klettern konnte. Wir haben immer Fußball im Garagenhof gespielt, Bälle gegen Garagentore geknallt. Aber wenn wir drüberschossen (ich habe oft drübergeschossen), landete der Ball auf dem langweiligen Rasen.

Das ADAC-Hochhaus, dem ich mich jetzt nähere, trägt diesen Namen, weil ganz unten, ganz vorne lange Jahre eine ADAC-Filiale sich befand und gelb leuchteten die Buchstaben am Haus, besitzergreifend. Dabei war die Filiale sehr klein, eine Reinigung daneben, auch ein Friseur, glaube ich. Wir haben oft beim ADAC im ADAC-Hochhaus unsere Reisen gebucht, nach Italien vor allem. Ich habe den ADAC deshalb sehr lange in erster Linie für ein Reisebüro gehalten. Es hat auch eine ganze Weile gedauert, bis ich die ADAC motorwelt mit, wie sagt man, kritischen Augen gelesen habe, zuvor fand ich sie immer nur sehr uninteressant, wenngleich ich sie natürlich gelesen habe, weil ich immer alles gelesen habe, auch die Frau im Spiegel bei meiner Großmutter, aber ich schweife ab.

Ich gehe am Zaun entlang und quere auf Höhe des ADAC-Hochhauses die Straße, später wird das, mit dem Auto, eine fiese rechtsvorlinks-Kreuzung. Es gibt eine Alternative, jedenfalls noch, von der anderen Straßenseite (triviale Alternative) mal abgesehen, denn wir schreiben das Jahr 1979. Da ist eine Grünfläche, ungepflegt, nur ein Trampelpfad, quer durch, mit viel Hundescheiße. Kein Hinderungsgrund - im Gegenteil! - der kürzeste Weg, ich gehe ihn oft. Später wurden Mehrfamilienhäuser hingestellt, die da heute noch stehen. (Natürlich. Was verschwindet, ist das Vergangene, nicht das Zukünftige.) Die gehören da nicht hin, denke ich noch heute, wenn ich sie sehe. In der Uhlandstraße kommt jetzt gleich ein Süßigkeitenautomat, wenn man zehn Pfennig hineinsteckt und mit einer raschen Bewegung den keilförmigen Hebel nach rechts dreht, verschwinden erstens die zehn Pfennig und einige runde, bunte Kaugummikugeln rasseln zweitens, aber im Grunde, denke ich jetzt, gleichzeitig, in den Ausgabeschacht, besser hält man die Hand davor, manchmal springen die Kugeln, weil sie zuviel Schwung haben, hinaus und auf den Boden, dann muss man darüber nachdenken, ob man sie an der Hose abwischen und noch in den Mund stecken will oder nicht. Erst sind sie ganz hart, man beißt darauf, dann werden sie gleich weich. Wenn ich mich nicht täusche, sind es sogar zwei Automaten. Der zweite verlangt fünfzig Pfennig und versteckt Schätze in Kapseln zwischen den größeren Kaugummis, die man dann meistens erwischt. Aber fünfzig Pfennig sind viel Geld.

Es geht vorbei an den Garagen links, vor denen eine hellbraune, staubige Schotterfläche sich ausbreitet. Die Garagentore sind ausgebleicht (vielleicht nur in meiner Erinnerung, durch meine Erinnerung). Da geschieht eigentlich nie etwas, da blicke ich nur kurz, prüfend hin, für alle Fälle, achte vor allem auf eine Garage, die den Eltern eines Klassenkameraden gehört. Interessanter sind die Gärten der Reihenhäuser rechts. Es sind Hecken davor, aber man sieht Menschen im Garten, falls jetzt Sommer ist, sonst gibt es auch hier nicht viel zu beobachten. Ein schmaler Pfad nach rechts, vorbei an der Metzgerei Walz, zu der ich hinterher noch gehe. Was trage ich in der Hand? Einen Korb? Nein, vermutlich gar nichts. Vielleicht einen Stoffbeutel in der Tasche. Der Blick auf die Kirche, das Pfarrheim, bevor ich abbiege. Plötzliche Veränderung des Raumatmosphäre: dunkler, kühler, fast ein wenig unheimlich. Der Weg ist schmal, eine recht hohe Hecke rechts, Häuser links. Am Ende, vor der schmalen Straße, an der linken Ecke dann Maurer, der kleine Edeka-Laden, bei dem ich so oft eingekauft habe, losgeschickt von meiner Mutter, Einkaufszettel in der Hand. Zehnpfennigeis stand nie drauf, aber das konnte man natürlich lässig aus der Folie lutschen, auf dem Weg nach Hause und keiner hat was gemerkt.

 
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