Montag, 12. Dezember 2005
wienfahrt
knoerer
12:35h
Ich kaufe einen Kaffee im Zug, das macht zweieurosechzig sagt der Verkäufer, ohne mich anzusehen. Ich gebe ihm fünf Euro, er zückt den Taschenrechner. Sechs Druckseiten, sagt der junge Türke im Internet-Café in Favoriten, eine Druckseite kostet zwanzig Cent. Er überlegt kurz, dann zückt er den Taschenrechner. In einem kleinen Supermarkt in Brigittenau kaufe ich Batterien für die Kamera, sie kosten viereuroneunundneunzig. Am Ausgang zückt ein Mann einen Ausweis und sagt "Sicherheitsdienst". Im Hinterzimmer werde ich gefilzt, es werden so viele Batterien gestohlen, sagt der Mann süffisant, das kostet und kostet. Er findet nichts, denn ich habe nichts gestohlen. Sie haben sich verdächtig verhalten, sagt er. Und dann: Wenn Sie möchten, kann ich mich entschuldigen. Ich möchte wohl. Dann entschuldige ich mich, sagt er und lässt mich zur Hintertür hinaus. Mein Vortrag im fünften Bezirk, in einer Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur. Ich blicke an der angegebenen Adresse durchs Fenster, drinnen sieht es aus wie in einem der türkischen Cafés, in denen türkische Jungs und türkische Männer Dinge tun, bei denen türkische Frauen und nicht-türkische Menschen nicht erwünscht sind. Bei näherer Betrachtung ist es eine Bezirksfiliale der SPÖ. Offensichtlich teilt sie sich die Räumlichkeiten mit der Dokumentationsstelle. Auf simpel gemachten Plakaten wird gegen die rechte Regierung agitiert. Drinnen Fotos von Menschen, die arbeiten, an der Wand. Männer, die eine Straße pflastern. Auf einer Tafel mit Kreide die Aufschrift "Freundschaft!", darunter die Internet-Adresse der Dokumentationsstelle, www.doml.at. Der Kongress, in dessen Rahmen das stattfindet, ist der seltsamste Kongress, den ich je erlebt habe. In sagen wir dreißig Panels wird Gott und die Welt verhandelt. Koordination gibt es kaum. Viele Vorträge, höre ich, fallen aus, weil die Teilnehmer nicht auftauchen. Schirmherr ist der Wiener Bürgermeister. Es gab wohl Geld, vermutet ein Bekannter, der aus Irland angereist ist, der Rest war dann nicht so wichtig. Hier, im fünften Bezirk, unter Leitung einer bulgarischen Professorin, die mit Bestimmtheit auftritt und ziemlich makelloses britisches Englisch spricht, gibt es freilich keinen Grund zur Klage. Griechen sind versammelt, Bulgaren, eine in Missouri lehrende Deutsche, eine Chinesin, die nur zuhört und ein Deutscher, der aus Südafrika kommt. Ich weiß das, denn die Bulgarin weist uns an, einander vorzustellen, während wir uns die die Liste der Teilnehmer eintragen, die herumgeht. Ein Brite und eine Britin aus Manchester und ein Grieche aus Lancaster stellen ein Papier vor, für das sie zwei Jahre auf einem internationalen Flughafen bei London empirisch geforscht haben. Es geht um "flow" als Grundprinzip des Nicht-Orts Flughafen, es geht, eine nie ganz durchsichtig werdende Metapher (wohl für das Gegenteil von "flow") um den Iraner, der seit zwanzig Jahren auf dem Pariser Flughafen festsitzt. Im Kino spielt ihn Tom Hanks. Ein zweiter Vortrag dann um Reisen und Homosexualität, zwei Texte, einer aus dem 19. Jahrhundert, ein aktueller. Eine Wienerin, die nie lacht und etwas aufgeregt mit den Händen flattert. Dann ich mit einem Text über Wüstenfilme, angeregte Diskussion. "Border Zones" ist der Titel des Panels. Ich gehe danach nicht mit in die Kneipe – ich glaube, die Bulgaren bleiben ohnehin unter sich -, ich will nämlich noch ins Kino, ich sehe Michael Glawoggers Film "Workingman's Death" über Schwerstarbeit in der Ukraine, in Indonesien, Nigeria, Pakistan, China. Tags darauf setze ich mich am Westbahnhof in Wien in den Zug und bin zehn Stunden später in Konstanz. Auf der Fahrt lese ich Paul Austers Roman "Book of Illusions".
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last updated: 26.06.12, 16:35 furl
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