Sonntag, 15. Januar 2006
unterwassermodefotografie

Freunde meiner Eltern, die wir manchmal besuchten, die uns manchmal besuchten, zwei Kinder wie bei uns. Die Tochter, Andrea, hat mich damals, vielleicht war ich zehn, sehr beeindruckt, weil sie den Zauberwürfel beherrschte. Der Sohn, Michael, an den ich mich eigentlich nicht mehr erinnere, war eher ein Nerd, der mit Chemiebaukästen hantierte. Die Sorte, die Sachen aufschraubt, um zu sehen, wie sie funktionieren, die Sorte, die tüftelt und erfindet und Preise bei „Jugend forscht“ gewinnt. In meiner Erinnerung. Zu hören war später, aber nicht viel später, er sei jetzt reich, und da war er noch nicht volljährig. Er habe es nicht nötig, das Abitur zu machen, habe er gesagt. Er hat seiner Freundin einen Mercedes geschenkt. Er hat dann doch noch das Abitur gemacht. Seinen Reichtum verdanke er, hieß es, Computern. „Das Geld liegt auf der Straße“ ist ein Zitat von ihm, das meine Eltern kolportieren. Ich hatte damals noch kein Verhältnis zu Computern, es war mir egal, ich habe es auch nicht recht geglaubt. Und was heißt schon reich. An der Sache mit dem Mercedes habe ich auch gezweifelt. Der Zufall wollte, dass ich jetzt doch mal gegoogelt habe. Jetzt weiß ich, was reich heißt. Zu lesen ist, dass er in den letzten Jahren nicht nur zehn Prozent der Aktien bei United Internet erworben, sondern dann für 100 Millionen Euro wieder verkauft hat. Eines seiner Investments. Er hat sein Geld gemacht, indem er den von ihm mitgegründeten deutschen Internet-Buchshop Telebuch (später ABC Bücherdienst) an Amazon verkaufte – eine Geschichte, die mir am Rande durchaus vertraut war, aber nicht in Verbindung mit ihm. Bis 2000 war er der Vizepräsident von Amazon. Er ist in der Welt herumgekommen, so viel geht aus mancherlei Artikeln, die ich gefunden habe, hervor. Inzwischen ist er ein führender internationaler Venture Capitalist. Aber nicht nur das. Sein aktuelles Projekt ist die Bigfoot Corporation. Vor vielen Jahren hatte ich mal eine Bigfoot-Email-Adresse, aber das ist wirklich lange her. Er hat die Firma gekauft und umorientiert. Eine Tochter heißt Bigfoot Entertainment und ihr gilt, scheint es, sein derzeitiges Hauptinteresse. Bigfoot Entertainment produziert Filme und Fernsehserien, hat eine Filmhochschule aufgemacht und ein Post-Production-Studio. In Cebu, auf den Philippinen. Es gibt dort einen Strand und gutes Wetter. Michael, der Bigfoot Chairman, hat offenkundig künstlerische Ambitionen entwickelt. Er ist jetzt, unter dem anglisierten Vornamen Mick, Unterwassermodefotograf. Ja. Unterwassermodefotograf. Es gibt einen Kalender mit Bildern von ihm, da sieht man, zum Beispiel, asiatische Schönheiten in einem Boxring unter Wasser. Unterwassermodefotograf. Und nicht nur das. Bigfoot Entertainment hat im letzten Jahr einen ersten großen Film mit-produziert, Titel „Three Needles“, mit Lucy Liu und Chloe Sevigny, unter anderen. Drei Geschichten über AIDS. Michael ist Executive Producer. Der Film hat ganz freundliche Kritiken bei verschiedenen Festivals, er ist noch nicht in den Kinos gestartet. Es gibt weitere Projekte. Eines davon heißt „Irreversi“. Michael hat das Drehbuch geschrieben. Der Held heißt Adam und hatte das Glück, seine Hightech-Firma für viele Millionen verkaufen zu können. Er ist reich (und ich weiß jetzt, was reich heißt). Es stellt sich jedoch heraus: Er ist steril. Seine Frau betrügt ihn womöglich und verdächtigt ihn, am Tod ihres Bruders die Schuld zu tragen. Those accusations push Adam over the edge so he begins contemplating the unthinkable – murdering his wife! Ein weiteres Drehbuch, Titel “Engine Failure”, soll ebenfalls verfilmt werden. Auch die Filmhochschule ist eröffnet und man zahlt nur ein Drittel der Gebühren, die anderswo verlangt werden. In Amerika zum Beispiel. Und Cebu ist schön, ein Strand und die Sonne und die Philippinen, also ist alles recht günstig. Ein wunderbarer Ort für Unterwassermodefotografie. Nur zum Beispiel.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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