Sonntag, 26. März 2006
reisetagebuch: austin - dallas
knoerer
04:01h
25.3., ca. 12.30 pm Vielleicht erinnern Sie sich an den Bahnhof am Anfang von "Spiel mir das Lied vom Tod" – ziemlich genau so sieht auch der von Austin, Tx aus, einer Stadt mit beinahe 700.000 Einwohnern. Ein kleines Häuschen, davor eine versprengte Truppe Reisender, zwei Irre darunter, Hispano-Amerikaner, ältere Leute und auch solche, die man bei uns auf Interrail-Reisen trifft. Keiner mit einer Mundharmonika. Alle warten. Man hat mich gewarnt: Amtrak ist unzuverlässig, auf Amtrak muss man warten. Ich habe mir für die Reise ein Buch gekauft, das ich immer schon einmal lesen wollte: "Krieg und Frieden" (auf Englisch). I will outwait you, Amtrak. Mit kaum neunzig Minuten Verspätung trifft der Zug ein. Einmal tutet es vorher, es ist ein Frachtzug, der nicht enden will, ein paar Hundert Meter lang. Im Vorbeifahren macht der Zug polternde, rumpelnde, ächzende, knarrende und puffende Geräusche, ein Soundtrack wie aus einem THX-Film mit Dinosauriern. Dieser Dinosaurier ist aber so echt, so ganz und gar nicht CGI wie irgendetwas. Einige Waggons sind offen und leer, der Zug ist so langsam, dass man aufspringen könnte. Einer der Irren sagt, dass unser Zug bestimmt gleich hinterher kommt. Das ist relativ, aber irgendwann tutet es wieder und mein Zug, der Texas Eagle ist da. Er wird heute noch nach Chicago fahren. Und er ist einer der beiden täglich in Austin verkehrenden Personenzüge. Man kann sehr gut die Übersicht behalten. Northbound gibt es und Southbound. Eine West-Ost-Verbindung gibt es nur dreimal die Woche. B. Hat mir erzählt, dass er einmal mit Amtrak von Austin nach San Antonio fahren wollte, das eine gute Autostunde entfernt liegt. Nach drei Stunden Wartezeit hat er aufgegeben und das Auto genommen. Die Soutbound-Verbindung ist schlecht, denn der Zug ist schon lange unterwegs, wenn er Austin erreicht. Ich sitze im Zug. Er ist doppelstöckig und großzügig. Gleich nachdem ich eingestiegen bin, kam ein Durchsage. "Hello cowboys and cowgirls, we will saddle the horses in a minute." Das ist die Ankündigung des double feature, das in der sog. Sightseeing Lounge auf Fernsehbildschirmen zu sehen gibt. Die Sitze liegen dort, wie im 19. Jahrhundert in den den Kutschen nachgebildeten Zügen, einander gegenüber. Man kann hinausblicken oder auf den Bildschirm. Im double feature gibt es Clint Eastwoods "The Outlaw Josey Wales" und "The Magnificent Seven". Draußen zieht dazu Texas vorbei, ich sehe Kühe. Vorerst bleibe ich hier in meinem Waggon. Es gibt eine Steckdose, ich schließe meinen Laptop an und tippe diese Zeilen. 7.40. pm Später merke ich, dass ich ins Behindertenabteil geraten bin. Die freundlichen Bahnbegleitpersonen haben mich nur deshalb nicht vertrieben, denke ich, weil ich den Laptop eingestöpselt hatte. Außer mir nur alte Menschen. Ein Ehepaar und ein Mann mit schwarzem Cowboyhut, die sehr stockend ins Gespräch kommen, zwischendurch verstummen, dann wieder weitersprechen. Ich lausche. Der Mann des Paares ist 91, die beiden haben zwei Monate in Austin verbracht, bei ihrem Sohn, der Winter ist in Frankfurt, Illinois, wo sie herkommen, zu hart. Jetzt fahren sie mit dem Zug zurück, sind die ganze Nacht unterwegs im Coach-Abteil, ohne Schlafsitze, ohne Betten. Der Mann scheint es nicht ganz zu verstehen, mehrmals fragt er seine Frau: "We spend the night in the train?" Der Mann mit Hut ist Farmer aus der Nähe von Dallas. Er ist schwer zu verstehen. Es könnte ein Gebissproblem sein. Aber eigentlich klingt das heftige Texanisch immer wie ein Gebissproblem. Zwischen Fort Worth und Dallas – zwei im Grunde benachbarten Städten – verliert der Zug nochmal eine Stunde. Das liegt daran, dass die Frachtzüge hier einfach Vorfahrt haben. Erst schiebt sich einer an uns vorbei, dann ein anderer, das dauert jeweils gut und gerne zehn Minuten. Danach geht's weiter, in Dallas über den Fluss, der selbst bei Google Maps nochmal breiter aussah, dann ist die Union Station erreicht. Sie sieht beinahe wie ein Bahnhof aus, es gibt stattliche sechs Gleise, die man auf dem Weg ins Bahnhofsgebäude aber einfach ebenerdig überquert. Das Gebäude ist groß, eindrucksvoll und leer. Ein paar Bänke, ein winziger Schalter, sonst nichts. Davor die Innenstadt. Sie ist groß, herausgeputzt und leer. An der Greyhound-Station vorbei, da stehen immerhin ein paar Leute herum, vorwiegend Schwarze. Busse fahren, aber keiner, das habe ich zuvor schon gecheckt, da hin, wo ich hinmuss. Mein Hotel liegt nicht sehr weit, aber ein bisschen außerhalb. (Sie müssen bei Google Maps übrigens 1955 Market Center Boulevard, Dallas eingeben, dann sehen Sie, wenn auch nicht ganz aktuell, von oben auf mich drauf.) Ich nehme ein Taxi und als der Fahrer hört, dass ich als Tourist hier bin, erläutert er mir die eine und andere Sehenswürdigkeit. Wir kommen an der Straße vorbei – sie liegt gleich am Ausgang von Downtown -, in der JFK erschossen wurde. Rechter Hand das Gebäude, aus dem Oswald geschossen hat, auch der Zaun ist zu sehen, hinter dem vielleicht ein anderer Schütze saß. (Jedenfalls bilde ich mir ein, dass das der Zaun ist.) Auf der Straße, die breit ist, findet sich ein nicht sehr auffälliges blaues X. Hier traf die Kugel den Präsidenten. "Now you've seen it", sagt der Taxifahrer, der offenkundig nicht zum Melodrama neigt. "Now I've seen it", sage ich. Wir kommen auch an dem Stadion vorbei, in dem die Dallas Mavericks spielen. Sie sind gerade nicht in der Stadt, sagt der Taxifahrer. Er ist sympathisch. Das Hotel ist schnell erreicht. Es hat einen leeren Pool in der Mitte. Als ich an der Rezeption sage, dass ich keinen Parkplatz brauche, fragt mich der junge Mann, der unbestimmt britisch aussieht, wo ich denn herkomme. Auf dem Zimmer gibt es gratis Highspeed-W-Lan. Das weiß ich zu schätzen. Ich tippe diese Zeilen und stelle sie online.
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