Donnerstag, 30. März 2006
kansas city
knoerer
17:58h
Nähert man sich Kansas City von Norden, wie ich es getan habe, vom Flughafen kommend, fährt man durch Industriegelände erst und sieht dann den Missouri-River, der träge und ohne alle Pracht an die Stadt weniger sich zu schmiegen scheint, als dass er sie, in der Annäherung sich abwendend, meidet. Man quert ihn über eine mächtige Brücke, denn er ist träge, aber breit, und stößt dann auf einen Felsen. Von dieser Seite her ist Kansas City wie eine Festung, auf einem Felsen erbaut. Hier, am Nordende, ist die Main Street in Downtown eine Schlucht zwischen jäh ansteigenden Hügeln. Auf dem Hügel des Ostens liegt mein Hotel. Es ist hellocker verputzt, hat etwas von einer Kaserne und bröckelt. Der Portier sitzt hinter Glas, alles ist sehr schmucklos. Im Aufzug aus hässlichem und hässlich abeblättertem dunklen Holzfurnier ächzt die Deckenlüftung, es stinkt wie auf der Fähre von Bari nach Patras. Der Gestank im mit Auslegeware ausgelegten Zimmer ist süsslicher, aber mindestens ebenso penetrant. Im Zimmer gibt es: einen Fernseher, ein Bett, einen Tisch, eine Mikrowelle, einen Kühlschrank, einen Sessel, zwei Lampen und eine Kommode. Die technischen Geräte funktionieren, die im nicht mehr ganz sauberen Prospekt versprochenen HBO-Pay-TV-Programme finden sich allerdings nicht unter den Fernsehprogrammen. So habe ich leider "Big Love" nicht sehen können, die neue Serie um einen Mann in Salt Lake City mit drei Ehefrauen, darunter Jeanne Triplehorne und Chloe Sevigny. Die Mormonen legen Wert auf die Tatsache, dass sie die Vielehe bereits im Jahr 1990 abeschafft haben. Kansas City ist heute anzusehen, dass man die Stadt in wenigen Jahren kaum wiedererkennen wird. Natürlich werden die eindrucksvollen Art-Deco-Hochhäuser, die aus der Downtown-Schlucht ragen, nicht verschwinden; man ist sogar versucht zu sagen: niemals. Daneben aber, noch immer mitten im Zentrum, finden sich riesige Baustellen, von noch riesigeren Kränen bewacht. Es entsteht hier ein neuer Entertainment-District, mit Shops und Restaurants und womöglich sogar Kinos; letztere sind im Moment noch kaum zu Fuß zu erreichen. Und wer hat ein Bussystem je schon am zweiten Tag durchschaut? Freilich gibt es die Bus-Expresslinie MAX, die im wesentlichen nichts tut, als von Norden nach Süden zu fahren und wieder zurück. Am Tag meiner Ankunft habe ich einen Teil dieser Strecke, einen Weg nach Süden, zu Fuß zurückgelegt. Man kommt dabei durch den sogenannten Crossroads Arts District, ein Viertel, das, so lese ich, lange nicht mehr als Brache war, in dem sich nun aber viele kleine Galerien angesiedelt haben. Am First Friday, einmal im Monat, schwärmen die kunstbeflissenen Bewohner der Stadt durch diese Straßen, in die Galerien und die auch dort sich ansiedelnden Restaurants. Am Tag meiner Ankunft aber, an einem Nachmittag gegen Ende des Monats März, war von Leben im Crossroads District wenig zu spüren. Ebensowenig in der mit großem Aufwand renovierten Union Station, dem alten Bahnhof der Stadt. In einem kleinen Seitenflügel findet sich der Amtrak-Schalter, auch von und nach Kansas City fährt nur ein paar Mal am Tag ein Zug. Der Rest des Bahnhofs ist umgenutzt, eine Wissenschafts-Ausstellung für Kinder, Restaurants. An der Information in der Mitte des Saals sieht ein Mann sehr einsam aus und macht nicht den Eindruck, als würde er oft nach etwas gefragt. Über einen Skywalk kann man hinübergehen vom Bahnhof ins Crown-Center, eine Art Mall, in der freudlose Menschen, als ich dort bin, am späteren Nachmittag eines kühlen Märztags, eher freudlos Dinge tun wie essen und einkaufen. Zwischen Crown Center und Union Station auf einer Anhöhe das Liberty Memorial, das, wie ich lese, einzige dem Ersten Weltkrieg gewidmete Mahnmal in den USA. Es ist riesig, nicht so trutzig und auch nicht gar so hässlich wie das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig – die Dimensionen aber sind ähnlich. Ich belasse es bei dem Blick aus der Halbnahen und kehre mit dem MAX-Bus zurück in mein Hotel, in dem es nach wie vor stinkt. Es war mir nicht klar, aber diese Reise ist auch eine Reise zu einigen der besten Museen der Vereinigten Staaten. Der Arts District liegt im Süden der Stadt, rund um die 45. Straße. Von der zehnten, auf deren Höhe ich wohne, nach dort sind es bestimmt sieben oder acht Kilometer. Gäbe es den Bus nicht, ich gelangte nur mit dem Taxi dahin. Erst 1994 hat das Kemper Art Museum, das in einem mehr gewollten als gekonnten Proto-Liebeskind-Bau residiert, seine Tore geöffnet; die Sammlung ist nicht alt, aber von Geld, das man hat, zeugen ein kleiner Jackson Pollock und auch Andy Warhols "Dennis Hopper". Sehr schön sind die aktuellen Ausstellungen. Die eine gruppiert zwei junge amerikanische Künstler (Phoebe Washburn, Stephen Hendee) gegeneinander in einem großen Raum. Beide haben in diesen Raum Gebilde gesetzt, wuchernd, sehr organisch aus wellenförmig nach oben hin zu einer Art Rutsche zusammengeklopften Holzplatten das eine, streng zu eckigen, rätselhaften, schönen Wänden und Türmen und Formen aus Plastik und schwarzem Klebeband zusammengetüftelt das andere. In der Mitte ein Pingpong-Tisch, als Metapher des Kampfs zwischen beiden, mit Anspielung auf eine rund um ein Tischtennisturnier sich ereignende Annäherung zwischen China und den USA. Das war aber die Idee der Kuratorin, dafür können die Künstler nichts, die im Katalog denn auch gar nichts Dummes sagen. Auch die aus Acryl-Bildstücken zusammencollagierten Bilder des Kurt Lightner gefallen mir gut. Er kehrt mit ihnen als Künstler zurück in den Wald von Ohio in seiner Kindheit. Im engen Sinne figurativ sind die Gemälde nicht, denn Wald und lauter Bäume sieht man in einem aber schon, dahinter viel versprechend die bunten Schätze, die Lightner als Kind dort fand. Unterseeische anmutende Märchenwälder, dekorativ und gespenstisch. Auf dem Rasen vor dem Nelson-Atkins-Museum um die Ecke etwa vier Meter hohe Federbälle von Claes Oldenburg. Ich gehe hinein und wie so oft ist der Eintritt frei. Es ist eines der in den USA wohl nicht selten zu findenden Museen mit dem Anspruch, die Weltgeschichte der Kunst in bezeichnenden Ausschnitten zu repräsentatieren. Der Grundzug ist didaktisch, es gibt im Untergeschoss ein von Ford gesponsertes Learning Center, in dem sich Schulklassen austoben können. In der Tat sieht man eine Menge Kinder und Jugendliche, die sich beinahe interessiert zeigen an der Kunst. Ich gelange zunächst in den Barock-Saal, in dem "Johannes der Täufer" hängt, von Caravaggio, ein Bild, das fast völlig auf schwarz und weiß reduziert ist (mehr schwarz als weiß, denkt man) – auch Johannes ist aller Attribute entkleidet. Von Rubens ein Gemälde von eindrucksvoller Dynamik. Sehr staune ich über zwei Bilder von Alessandro Magnasco, den ich nicht kenne, und ihren überaus frechen, in fast überheblicher Virtuosität das Figurale dem Gekritzel annähernden Strich. Unter den Highlights der amerikanischen Kunst findet sich wahrlich Scheußliches, Indianer und Trails und Death Valley, daneben aber auch Blumen von Georgia O'Keeffe. Und in einer Sonderausstellung, die die Übergänge von Realismus und Abstraktion didaktisch aufbereitet, findet sich eines der dunklen Bilder Mark Rothkos, wie wir sie schon in der Rothko Chapel in Houston gesehen haben. Hingerissen bin ich aber vor allem von einer anderen Sonderausstellung zur chinesischen Kunst. Sie zeigt die Reaktionen der Maler auf das Ende der Ming-Dynastie. In den drei Jahrhunderten der Ming-Dynastie (von ca. 1350 bis 1648) steht die Malerei der Literati (wen-jen) in Blüte; es sind dies Künstler-Gelehrte mit genauer Kenntnis der Kunstgeschichte, die aber auch als Dichter hervortreten. Auf ihren Gemälden finden sich deshalb neben dem Figurativen auch Gedichte. Wenn ich recht verstehe, was ich gestern dazu gelesen habe, geht es gerade um die Übergängigkeit von Schrift und Bild. Die Gegenstände, die zu sehen und zu erkennen sind, bewegen sich bereits in Richtung Schrift. Viel hat das mit dem Zug des Pinsels zu tun, der ein- und derselbe ist im (kalligraphischen) Schreiben und im Produzieren des Bildes. Der bevorzugte Gegenstand der wen-jen sind daher - im starken Gegensatz zur Tradition, mit der es um 1350 einen recht radikalen Bruch gibt – Landschaften, die oft Fantasiegebilde sind, Felsen und Bäume und in den Hintergrund gekauerte Hütten aus Strichen. Im 17. Jahrhundert kommt es zu Radikalisierungen in der Abstraktion. Atemberaubend sind zwei Biler, in denen sich zwischen der weithin unangerührten Leere des Papiers nur ein aus zwei, drei dicken Strichen geformter Felsüberhang und ein Vogel finden. Ich bin, nachdem ich das Museum verlassen habe, in die Filiale der Stadtbibliothek gegangen, die nicht weit entfernt ist, und habe eine Stunde lang in einem Buch gelesen, das sich dort fand, einem Katalog zu einer Austellung, die das Nelson-Atkins-Museum einmal gemacht hat, mit dem Museum in Cleveland, zur chinesischen Malerei.
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