Sonntag, 16. April 2006
elefantenzimmer

Washington D.C. ist weniger eine Stadt als eine Installation. Repräsentation eines Imperiums ohne Plan. Wucht der Gebäude und Zufälligkeit der Anordnung entlang der Mall ergeben einen merkwürdigen Mix. Alles ist viel zu groß und macht gerade deshalb gar nicht viel Eindruck. Man wandert über die stoppelige Grünfläche zwischen den Museen und Bauten, die diese Mitte säumen und man läuft und läuft und geht dabei aller Ehrfurcht verlustig. Für gewöhnlich wird als komisch die Auflösung einer großen Erwartung in Nichts bezeichnet. Aber die Monstrosität des Lincoln-Memorial als Auflösung einer großen Erwartung in etwas viel zu Großes hat auch was. Der Künsler Ron Mueck erzeugt Unheimlichkeitseffekte, in dem er lebensechte Figuren modelliert, aber zu klein. Lincoln, viel zu groß und eingesperrt in seinen ungeschlachten Tempel, macht eine lächerliche Figur, aber unheimlich ist das nicht.

Über den Arlington National Cemetary gelaufen, wo allenthalben Schilder auf den Ernst, der an diesem weihevollen Ort geboten ist, hinweisen, und die Stille einfordern, mit der man sich zwischen den Gebeinen gefallener bzw. sonstwie gestorbener Helden zu bewegen hat. In Reih und Glied liegen sie weiß und tot im Gras. Eine ewige Flamme zum Gedenken an JFK; ich kenne nun die Stelle, an der er erschossen wurde und die, an der er liegt, in direkter Verlängerung der Mall hinaus über den Fluss hinauf auf den Hügel inmitten des Friedhofs. Auf einer Balustrade eingraviert wie in einen Grabstein berühmte Worte des großen Mannes. Ich sehe hinunter auf die Stadt und wieder will sich keinerlei Ehrfucht einstellen.

Es ist alles so groß, dass fürs Subtile kein Platz ist. Aber auch so zufällig, dass auch der Effekt des Sublimen ausbleibt. Was ein Glück ist. Alles hat die Eleganz des Elefanten im Porzellanladen, ganz also die, um einen jetzt auch nicht sehr subtilen Vergleich zu wählen, des gegenwärtigen Präsidenten in der Weltpolitik.

Wobei ich beim Gang ums Weiße Haus immer nur erwarte, Präsident Bartlett zu sehen, oder damit rechne, Josh oder C.J. über den Weg zu laufen, was dann nicht geschieht. Es gelingt mir nicht, mir George W. Bush in diesem Zusammenhang vorzustellen, was vielleicht ein Segen ist, vielleicht auch nur Verdrängung.

Gewiss ist Washington anders als die anderen amerikanischen Städte, schon weil ein von Gott und den Menschen verlassener Downtown-Bezirk mit Wolkenkratzern und Häuserschluchten fehlt. Viel Uninteressantes aber gibt es in der "Innenstadt" auch hier. Viele Starbucks, eine kleine Demonstration immerhin, Menschen gehen, gelbe Schilder in der Hand, im Kreis. Sonst aber vor allem viele Menschen in Anzügen und Kostümen. Sie sehen sehr fantasielos aus und einförmig, auf immer schon diplomatische Weise darum bemüht, sie selbst zu sein, wie alle, die zu nah ans kalte Feuer der Politik geraten. Im Regierungsgelände zwischen allerlei Ministerien suche ich eine dreiviertel Stunde lang vergeblich nach einem öffentlichen Telefon. Dann finde ich eines und die Leitung ist tot.

Es ist heiß und schwül an diesem Tag in der Hauptstadt. Vier Stunden verbringe ich in der National Gallery und nehme den einzigen Leonardo auf amerikanischem Boden zur Kenntnis. Der Text zum Bild erläutert, dass ein Stück vom ursprünglichen Gemälde unten wohl fehlt und es klingt, als sei man beleidigt, als sei das eine Schmach für die Hauptstadt des mächtigsten Landes der Welt: der einzige Leonardo, aber er ist kastriert. Natürlich aber sind die Museen an der Mall ein Traum. Großartige Bestände, Einzelausstellungen zu Dada, Cezanne, Sugimoto, Hokusai, alles gesehen in knapp sechs Stunden, alles umsonst, die Überfülle des Schönen und unten dann vier Vermeers (oder sagen wir dreieinhalb, bei einem ist man nämlich nicht ganz sicher), da wäre ich fast in Tränen ausgebrochen, weil man auf dieses Zuviel des Überwältigenden doch irgendwie reagieren muss. Am Eingang dann des Moderne-Gebäudes der National Gallery M. begegnet, einer Kommilitonin aus Frankfurt (Oder), deren Freund in Washington arbeitet. Sie kann sich nicht vorstellen, sagt sie, in Washington zu leben, oder überhaupt in den USA.

Dann ein Treffen mit einem, der es kann und es tut. S. ging mit mir in die selbe Klasse im Gymnasium in Ansbach, wir sind uns, nachdem wir ewig nicht voneinander gehört hatten, vor ein paar Jahren in Berlin über den Weg gelaufen, wo er bei einem gemeinsamen Bekannten, was ich erst nicht wusste, wohnte und dann einfach so bei einem Fest im Hof aus dem Nichts auftauchte und unserer gemeinsamen Vergangenheit. Er hat Jura studiert, in Bonn und New York, ging von Berlin dann als Anwalt in eine Kanzlei in Washington. Das Büro – es gibt auch eines ein London, eines in Japan, dies hier beschäftigt sechzig Anwälte und das ist nicht viel für die USA, meint S. - liegt in Georgetown, einem von den Studenten der zwei hier angesiedelten Universitäten geprägten Stadtteil, der sich ins, sagen wir Prenzlauer-Berg-hafte hinaufgentrifiziert hat in den letzten zwanzig Jahren, hübsche kleine Häuser, nette, nicht ganz billige Restaurants und zwischendrin noch ein kleiner Bach mit sanft rauschendem Wasser. Ein bisschen wie die Puppenstube zum Elefantenzimmer downtown.

Die Kanzlei liegt direkt am Washington Harbor, an einem Knick im Potomac, Boote fahren von hier, Touristen sitzen an gedeckten Tischen und Angestellte umliegender Büros sowie vielleicht sogar Studenten behalten die Welt und das andere Geschlecht im Auge. Dazwischen eine Fontäne, dazwischen auch ich, wartend, etwas früh dran. Dann kommt S., wir unterhalten uns beim mexikanischen Essen, er hat immer einen Blick auf ein Gerät, das wohl ein Handy ist, aber auch E-Mail kann, manchmal vibriert es, er liest dann kurz, was da steht. Ich esse Enchiladas, er Shrimps, er lädt mich ein. Er erzählt mir von seiner Arbeit, ich von meinem Habil-Projekt, wir haben natürlich rein gar nichts gemeinsam, aber es ist ok. Wir sprechen auch über Washington und dass er mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Mit dem Taxi fahren wir dann hinaus in die Siedlung, in der er lebt, mit Frau und zwei Kindern, das Haus, das groß ist und sehr schön und das einen großen Garten hat, hat er gekauft. Natürlich kann man sich vorstellen, so zu leben. Es ist schon ein bisschen merkwürdig, sagt er, und es scheint, er hat sich sein zukünftiges Leben doch anders vorgestellt, früher. Es scheint auch, als wollte er klar machen, dass er um die Differenz noch weiß und das Früher, schon weil ich ja aus diesem Früher stamme, der Zeit, in der er Schulsprecher war und aktiv gesellschaftlich engagiert. Er hat übrigens, was den Job angeht, keineswegs irgendwelche Ideale verraten, es ist nur ganz einfach ein sehr erfolgreiches, normales Leben, das er führt. Wir haben Geld, aber wir sind nicht reich, sagt er. Wir haben nur ein Auto, es ist kein Mercedes. Ich übernachte bei S. und C., sie sind sehr nett, es ist eine fremde Welt und auf dem Schreibtisch in dem Zimmer, in dem ich schlafe, liegt ein Aufkleber "Ansbach, Stadt des fränkischen Rokoko".

 
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