Sonntag, 18. Juni 2006
dabeiseinistalles II

In Hannover vor dem Bahnhof singen mexikanisch gekleidete Fans Angola-Songs. Auf den Bahnsteigen gibt es spanische und portugiesische Durchsagen von Muttersprachlerinnen. Die spanische Durchsage bittet die mexikanischen Fans sich bei Fragen an das spanisch sprechende Bahnpersonal zu wenden. Ich verstehe die portugiesische Durchsage nur sehr ungefähr - und sie sagt ungefähr dasselbe wie die spanische -, sehe allerdings kein Bahnpersonal, das des Spanischen oder Portugiesischen mächtig schiene. Vielleicht geheime Signale unter Sprechern fremder Sprachen.

In der Innenstadt von Hannover, neben einer Uhr, die mysteriöserweise die Tage seit der Expo zählt, als führte das irgendwo hin, irgendwo anders hin also als einfach nur weg vom Ereignis, provisorisch an Säulen getackerte Schilder, die die Fußgängerzone als LaVolpe-Straße ausweisen, dem Trainer der Mexikaner zu Ehren. Das Café Extrablatt, in dem ich mit N. etwas trinke, das sich aus nicht sehr durchsichtigen Gründen Milchkaffee nennt, ist deutschlandfahnenenfarben durchdekoriert und das Personal trägt T-Shirts mit Rückennummern. Unter den Nummern aber keine Namen, sondern Positionsbezeichnungen: Stürmer, Verteidiger etc. (Oder sind es Funktionsbezeichnungen? Ist das Fußballspiel ein Positions- oder ein Funktionszusammenhang? Ein Struktur- oder ein Systemzusammenhang?)

Egal.

Auf der Fahrt zurück, von Hannover nach Berlin, sitze ich im Zug neben einem jungen thailändischen Mann und einer mittelalten thailändischen Frau, die wahrscheinlich seine Mutter ist. Thailändisch kenne ich aus dem Kino und finde es sehr schön. Ich verstehe während der ganzen neunzig Minuten (sic!) der Fahrt nur zwei Worte des Gesprächs der beiden. Einmal nämlich sagt der junge thailändische Mann ganz unverkennbar: Trinidad Tobago.

Die erste Halbzeit vom deutschen Spiel höre ich, vietnamesische Speisen beim neuen Vietnamesen in der Bergmannstraße essend, nur mit halbem Ohr. Ich sitze mit dem Rücken zu einer opto-kulinarischen Spontangemeinschaft auf dem Bürgersteig vor einem anderen Lokal, S. erklärt mir, über meine Schulter blickend, ob es sich beim Lärm um Jubel oder Entsetzen handelt, denn das ist akustisch gelegentlich schwer zu unterscheiden. Fetzen von Steffen Simons Kommentar dringen an mein Ohr und also denke ich, das Spiel der Deutschen sei schlecht. Später erfahre ich von einer Differenz zwischen Spiel und Kommentar, einem sog. Simonschen Verblendungszusammenhang. Die zweite Halbzeit sehe ich mit eigenen Augen und gegen Ende bin ich hingebannt. Eine junge Frau in unserer kleinen Spontangemeinschaft gebärdet sich so dämlich wie ihr mutmaßlicher Schwiegervater. Übrigens ist alles voller Fahnen. Auch hier in Kreuzberg.

Mitreißend, da gebe ich Herrn Wörterberg recht, ist überraschenderweise - und umso mitreißender, weil überraschend - das Spiel Ghanas gegen die auf ganzer Linie enttäuschenden Tschechen, das ich zunächst nur mit halbem Ohr und halbem Auge verfolge. Am Ende hänge ich gebannt vor der Glotze und bejuble das zwei zu null, dem dann doch tatsächlich kein Abseits vorausging.

Für den Abend und das Match zwischen Italien und den USA sind wir ins alte Stadtbad in der Oderberger Straße verabredet. Es gibt Eingangskontrolle, aber nur ein bisschen. Es gibt Kommerz, aber nur ein bisschen. Die Stühle stehen im Becken, das sich als Auditorium, wie mir sofort einleuchtet, eignet, da es abfällt zu größeren Wassertiefen hinab. Aber hier ist lange kein Wasser mehr gewesen, der Putz bröckelt pittoresk, der Saal ist voll, die Bildstabilität des Beamers ist ein wenig prekär. Die Mehrzahl der Fans ist für Italien. Im Gegensatz ja zu mir, der ich mir zudem nach dem desaströsen Debütspiel der USA einiges verspreche, in der Hoffnung, sie wollten der Welt nun beweisen, dass sie auch anders können. Die Hoffnung trügt nicht, die Amerikaner kämpfen um jeden Millimeter Boden, mit den Mitteln, die sie haben. Die Mittel sind redlich, möchte ich behaupten, nur steckt im Verpassen des Balls um Millisekunden das Potenzial zu einem fiesen Foul. Dieses Potenzial wird gelegentlich aktualisiert und alle Karten sind fraglos gerecht. Ein fieser Möpp ganz anderen Kalibers freilich ist der Italienier mit dem Ellenbogencheck. Sehr imponieren mir, und immer mehr, die Amerikaner, die durch den Kampf zum Kampf finden und den Italienern Grenzen aufzeigen. Ich bin nicht sicher, ob es Grenzen des Willens sind oder doch des Organisationsgrads ihres Spiels. Im einen wie dem anderen Fall: kein Titelkandidat. Viele zeigen sich hinterher gelangweilt von dem Spiel. Ein großer Irrtum, es war sehr mitreißend, von den letzten zwanzig Minuten vielleicht abgesehen, in denen es dann doch zuende ging mit den Kräften der USA. Verständlicherweise.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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