Donnerstag, 29. Mai 2008
ein ausflug

Die Frau, deren Frisur, wenn ich richtig verstehe, sich gerade um ein hohes Staatsamt bewirbt, tauchte dann einfach nicht auf. HDK, an diesem Abend von weit ins Unverschämte lappender fahrlässiger Launigkeit, wieselte davon und kam wieder, in den leeren Händen nicht die Präsidentin, nicht die Urkunde, im Gesicht nur den Ausdruck unverrichteter Dinge.

Es war ein sehr schöner Vortrag gewesen, den S. hielt im Senatssaal, nichts als ein ritueller Akt zwar im Rahmen der größeren institutionellen Zusammenhänge, in denen er stand, der aber große Lust darauf machte, den Film "No Pasaran" zu sehen, von Henri-Francois Imbert. Ich kann das sagen, weil ich den Film zwar schon gesehen hatte, aber sofort Lust bekam, auch seine anderen Filme, die ich noch nicht kannte, nun kennenzulernen. Es waren Menschen gekommen, von denen ich viele noch nie, andere seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die Urkunde aber, Brief und Siegel aufs Geleistete, blieb aus. Frau Schwan war gesichtet worden im Abseits, hörte ich flüstern, im Fernsehen war sie gewesen, in den Feuilletons stand sie, in den Senatssaal kam sie nicht.

Wir gingen zur Oder, zur Brücke nach Polen, auf der die alten Grenzanlagen, aber als geschlossene nun, verloren, verlassen, vergessen noch vorhanden waren. Keiner hielt einen mehr auf, keiner verlangte mehr einen Ausweis. Vor dreizehn Jahren war ich das erste Mal hier gewesen, in Frankfurt (Oder), hatte im Herbst 1995 hier zu studieren begonnen. Da war das Hauptgebäude noch eine Baustelle, die Brücke noch eine stark befestigte Grenze, die Oder von beiden Seiten bewacht. Es war alles dermaßen unfertig, die Stadt, die Universität, mein Leben, die Zukunft, der Westen, der Osten, Europa.

Nicht dass jetzt alles fertig ist, aber das Unfertige hat sich verfestigt zu einem Status Quo, dem nicht unbedingt abzulesen ist, er wolle oder es wolle jemand mit ihm noch irgendwohin. (Mein Leben nehme ich, die Aufzählung da oben noch einmal durchgehend, provisorisch aus. Und Frau Schwan will natürlich auch irgendwohin.)

Es hat uns, die wir Pionierinnen waren und Pioniere damals (auch ein belastetes Wort in jenem Teil Deutschlands, wie man lernen konnte, aus dem tiefen Westen gekommen), es hat uns in die Winde zerstreut. Neulich, als es im Alten Museum um Nationalkultur ging, habe ich A. wiedergesehen, wie wir uns, hier oder da, immer mal wiedersehen und auf einen Kaffee verabreden, den wir nie trinken. Auch bei St. muss ich mich endlich mal wieder melden, ganz dringend. Ich habe, bei dieser Gelegenheit nun, J. gegoogelt und stelle fest, dass ich ihr im letzten Herbst in Bern, wo ich S. besuchte und J., sagt Google, ein Stipendium hat, ausgerechnet in Bern, denke ich mir, über den Weg hätte laufen können. Oder vielleicht, was fast wahrscheinlicher ist, in Bern sogar über den Weg gelaufen bin, ohne es zu merken.

Ich werde, so scheint es, nicht mehr oft im Leben nach Frankfurt (Oder) kommen, denn schließlich, was soll ich da. Wenn es in noch einmal dreizehn Jahren dann Google Street View gibt, Rundumbilder von den Straßen der Stadt an der Grenze, werde ich die Wege, die dann schon ganz alten, bestimmt noch einmal gehen und die Häuser erkennen, die nicht mehr stehen, so wie ich die Skulptur am Ende der Fußgängerzone, die eigentlich eine Uhr war, eine seit Jahren schon stehengebliebene freilich, so wie ich diese Skulptur jetzt in ihrem Verschwundensein erinnerte; eine aus dem Muster des Fußgängerbodens fallende Pflastersteinstruktur zeugt noch, für den, der es weiß, von dem, was einst war.

Die Zugfahrt zurück, Schienenersatzverkehr zwischen Fangschleuse und Erkner. L. der Fotos machte mit seiner japanischen Funddigitalkamera und der aus den Schlangengruben des Universitätsbetriebs erzählte und aus anderen Zeiten, die es in seinem Leben auch gab. B., der nach Island will mit Blumenberg, wenn ich das jetzt wieder richtig verstanden habe. (Ich war sehr müde, nicht nur, weil einen die Vergangenheit müde macht.) Und S., ohne Urkunde, und S., die am nächsten Morgen gleich wieder nach Frankfurt fuhr, dienstlich. Und B., mit der ich über Mathematiker sprach, die kein Leben haben außerhalb der Mathematik, und über andere, die mit achtzehn schon wissen, was sie wollen und werden und darum auch wirklich das werden, was sie wollen.

Ja, das war dieser Ausflug nach Frankfurt, vom frühen bis zum späteren Abend des vergangenen Dienstag.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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