Dienstag, 30. Dezember 2003
kaliningrad

Mit dem Historiker Karl Schlögel bin ich einmal nach Kaliningrad gefahren. Ein Seminar an der Viadrina, sechs Leute, davon zwei, die immer aus Berlin kamen, von der Humboldt. Niemand darunter, mit dem ich mich besonders verstanden habe. Historiker halt, deren aufs Faktische eher als das Mögliche gerichteter Geist mir schon immer fremd war. Osteuropa-Historiker noch dazu, ich war der einzige, der kein Russisch konnte. Der unieigene VW-Bus wurde gebucht, Schlögels Assistent Gregor Thum setzte sich ans Steuer und wir fuhren durch Polen. Weiter als Slubice, das ist die über die Oderbrücke rüber gelegene Grenz- und ehemalige Vorstadt von Frankfurt (Oder), war ich nicht gekommen in meinem Leben, Richtung Osten. Obwohl ich ja ein Viertelschlesier bin oder, den nicht nur mathematisch gewagten rassekundlichen Vererbungsberechnungen meiner Mutter zufolge, eher ein halber. Heimat Breslau. Oma hat oft davon erzählt, aber immer dasselbe, sehr bald hatte ich es, ihrer zunehmenden Demenz wegen, so oft gehört, dass ich's längst komplett vergessen hatte. Wir fuhren durch Polen und kamen nach Kaliningrad. Es ist nicht die hässlichste Stadt, die ich je besucht habe. Oder vielleicht doch. Wir haben Karten gelesen, Stadtpläne aus dem letzten Jahrhundert, vor der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Als sie noch Königsberg hieß. Schlögel ist ein großer Fan alter Karten, auch alter Telefonbücher. Wir haben verglichen, die Karten und daraus tatsächlich viel gelernt. Schlögel, dessen Normalzustand eher die katatonische Starre scheint, kann sich auch begeistern, für Gebäude vor allem, Straßenzeilen, Bahnhöfe. Er liebt das Pathos. Nicht so sehr seine Mitmenschen, er ist eine eigenwillige Mischung aus Begeisterungsfähigkeit und Autismus. Das einstige Zentrum der Stadt, die Insel im Fluss, ist planiert, nur den Dom hat man wieder aufgebaut. Da wo das Schloss stand, thronte jetzt die Ruine eines mächtigen und beeindruckend hässlichen Gebäudes, das einst den Rat der Stadt beherbergen sollte, aber kurz vor Bauschluss stellte sich heraus, dass der Bau ein statisches Unglück ist. So wurde er nie bezogen. Geld zum Abriss hatte man auch nicht. Umkränzt ist das Gebäude von Plattenbauten, ein geschlossenes Scheußlichkeits-Ensemble. Wunderbar waren die Besuche an den Badeorten der Ostsee, im Zustand fortgeschrittenen Verfalls, aber nach wie vor genutzt, mit brechender Stimme von einst großen Zeiten kündend. Mit Schrecken erinnere ich mich des Besuchs an der Kaliningrader Universität, mit der man zarte Bande zu knüpfen unternahm. Es wurde dann nichts weiter daraus. Die Anfänge aber waren viel versprechend, man sprach stundenlang miteinander, in russischer Sprache natürlich. Ich lächelte viel und gelegentlich erbarmte sich einer der Mitreisenden und setze mich grob ins Bild darüber, worum es in der letzten halben Stunde gegangen war. Wir wohnten in einem Studentenwohnheim, die Betten waren weich, sehr weich. Ich erinnere mich an ein Restaurant, über dessen Eingang das Schild "Der Sozialismus wird niemals untergehen" anzubringen man wohl schlicht vergessen hatte. Wie das Essen war, das weiß ich nicht mehr. Die Schönheit der erhaltenen Villenviertel, die ist mir im Gedächtnis geblieben. Ein Feuerwerk, dem ich fernblieb. Was gefeiert wurde: keine Ahnung. Es war eigentlich, für mich, keine besonders gelungene Reise. Kein Wunder, dass dieser Bericht keine Pointe hat.

 
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