Freitag, 12. März 2004
hurts so good

Diesmal nach Osten. Oede Vorstadtbrache zunaechst, die Hunde werden fetter und haesslicher - viele Hunde hier, fast wie in Friedrichshain. Ueberhaupt liesse sich ueber eine Stadtteilsoziologie New Yorks anhand der Hunde nachdenken. Im Zehnerstrauss von Dienstboten ausgefuehrte Pudel und Pinscher in der Upper Eastside, verstrubbelte Buersten in Greenwich Village. Hier jetzt vorwiegend die auf den ersten Blick wenig charmante Sorte. Ein Kanal, der sich in den Weg legt, eine blau gestrichene Bruecke darueber. Ein junger Mann mit einem Stativ auf der Schulter kommt mir entgegen in der gleissenden Sonne. Schritt fuer Schritt aendert sich gleich darauf die Gegend, wird urban, Brownstones, die Strassenschilder faerben sich von gruen nach braun: Historic District, heisst das. Park Slope. Kleine Delis, Grocery Stores, ich komme an Annie's Garden vorbei, ein Schild erklaert: Von Annie, die hier lebte, in jahrzehntelanger Arbeit einer Brache abgewonnener Garten. Sehr charmant, Wege, Straeucher, aber der Zugang ist versperrt. Daneben ein Schild verblichen in einem Fenster, schwarz auf rot, der Raum dahinter leer: Hurts so good. Stop it again. Quit it some more. Pull it out deeper.

Vor den Tueren fensterloser Gebauede Maenner in Arbeitskleidung. Rauchend. Ein paar Schritte auf den Gehsteig oder in die Tuer geklemmt, fuenf Minuten draussen, dann gehen sie wiede hinein in die fensterlosen Gebaeude. Dumpf und sanft, mit sieben Sekunden Abstand (ich habe irgendwann gezaehlt), eine Kirchenglocke. Sie hoert nicht mehr auf, es ist elf Uhr morgens, aber sie schlaegt immer weiter. Ich naehere mich, sehe grosse schwarze Limousinen vor der Kirche stehen. Ein Leichenwagen, Menschen in schwarzer Kleidung, ein Trauergottesdienst, der gerade zu Ende ist. Von einem Moment auf dem anderen beginnen die Frauen, vor dem Portal verstreut, wie sie sind, zu singen. Etwas mit corazon, ein kurzes Aufflackern nur, dann ist es wieder vorbei. Ich gehe weiter, die Glocke schlaegt noch immer, dumpf und sanft.

Riesengrosser Triumphbogen auf der Grand Army Plaza, Soldaten im in Metall gegossenen Gruppenbild, aufgepflanzte Bajonette. Am Eingang zum Prospect Park. Auf einem Schild steht: Long before movies, Olmsted and Vaux created, frame by frame, a sense of mystery and expectation drawing visitors to the next 'mystery'. Darunter ist zu lesen: Gatherings of more than 20 people require a permit. Call 965/8969 at least one month in advance. Ehe ich den Park betrete, der leer ist, nur Jogger und Skater auf vorgeschriebenen Wegen, mache ich noch einen Abstecher zur Brooklyn Public Library, die geldspeicherhaft dem ihr gegenueber liegenden martialischen Triumphbogen trotzt. In der Fiction-Abteilung gleich rechts die neu erworbenen deutschen Titel in der ersten Reihe, darunter arabisch: Steffen Kopetzky: Grand Tour darunter und Frank Schulz: Morbus Fonticuli (wollte ich doch lesen; aber nicht hier, nicht jetzt). Im eigentlichen Deutsch-Regal, das nicht sehr umfangreich ist, stehen nebeneinander: Jochen Schmidt: Mueller hat es raus, Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereise, Victoria Holt: Die geheime Frau. Ansonsten reihenweise bunte chinesische Buecher mit attraktiven jungen Frauen auf den Buchruecken und Rueckseiten und an der Wand Lokalpatriotismus. Gerahmte Fotos von Brooklyner Schriftstellern, von Walt Whitman ueber Paul Auster bis Jonathan Lethem.

Der Park erinnert, wie sollte er nicht, an den Central Park, aber ich bin ein wenig enttaeuscht von der Inszenierung. Ein Park-Movie habe ich mir etwas anders vorgestellt. Vielleicht aber liegt es nur daran, dass alles noch winterlich kahl ist. Parks ohne Gruen sind nicht the real thing. Am Suedende dann ist die Eislaufbahn im Freien geoeffnet, zwei Tage noch, dann ist offiziell Fruehling in New York. Das sich anschliessende Viertel ist schwarz und hispanisch gepraegt. Und arm, denn bei McDonalds kostet der Double Cheeseburger nur einen Dollar. Sonst ueberall: eins fuenfzig. Ich gehe den Prospect Park an der Westseite zurueck, auf einer Bank liegt ein Mann in der Sonne, grosser Hund neben ihm, wohlhabendere Gegend anzeigend. Der Mann hebt kurz den Kopf und blickt ueber die Strasse auf ein kleines Haus im Schatten. Daran gross das Schild: Beware of the dog. Ich frage mich, ob es sein Haus ist, ob er nur mal kurz rueber ueber die Strasse ist, die Sonne geniessen und sehen will, ob mit seinem Haus, vielleicht zehn Meter entfernt, noch alles in Ordnung ist.

Abends im Anthology Film Archive, von Jonas Mekas gegruendete Film-Institution. New York Underground Film Festival. Die Gaenge voller Nerds mit Strickmuetzen. Wir haben uns fuers Experimentalfilmprogramm entschieden, eine auf sieben Minuten kondensierte Fassung von Robert Wises Sci-Fi-Klassiker 'The Andromeda Strain'. Das flackert, rhyhmisiert und in Ueberlagerungen und Ueberblendungen strukturiert vorbei, erinnert eher an Martin Arnold als an Fast-Forward-Video. Dann etwas Oesterreichisches mit Split Screen und Filmresten, das sich ohne Information ueber das Prinzip nicht erschliesst. Zum Abschluss ein Remake von Michael Snows 'Wavelength', in 3D. Folgsam setzen wir die Brillen auf, rot ueber das linke Auge. Der von Yoko Ono gestiftete big ass motherfucker Fernseher wird reingerollt. Die Kamera beginnt zu zoomen, der Kuenstler ist anwesend und spricht dem Auditorium - fast ausverkauft, aber der Saal ist klein - Mut zu. Muss er gar nicht, gute Erfahrung, jedenfalls fuer einen immer noch leicht jetlag-Geschaedigten, der seine Sinne um diese Uhrzeit nicht mehr recht beisammen hat. Das ist so art school, sagt S. Wir lassen die Nerds mit Strickmuetzen hinter uns, steigen in den F-train, der uns vor unserer Haustuer absetzt. Ins Bett fallen, schlafen.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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