Donnerstag, 18. März 2004
poor theater

"Poor Theater", das neue, als work-in-progress in der Performing Garage vorgestellte Stueck, wenn man Stueck sagen will, der Wooster Group (deren Mitgruender Spalding Gray gewesen ist), ist eine Annaeherung an zwei Groessen von Theater und Tanz, Jerzy Grotowski und William Forsythe. Im ersten Teil steht zunaechst nur ein Flachbildschirm in der Mitte des ziemlich winzigen Raumes, der gerade mal Platz fuer fuenf, sechs Zuschauerreihen bietet. Im Einspielfilm wird berichtet von der Reise der Woosters (ohne Willem Dafoe diesmal) nach Polen, an die Spielstaette Grotowskis in Breslau. Ein Interview mit dessen Assistentin und der Fernseher wird beiseite geschoben, die vier Darsteller treten auf - als Nachsteller. Nachgestellt und nachgesprochen wird das Interview. Es folgt die Reinszenierung einer anderen Situation: Die Wooster Group betrachtet ein Video mit Grotowskis Inszenierung des Stuecks "Akropolis" (in diesem Film fungiert die andere Theater-Legende Peter Brook als Erzaehler), ein Uebersetzer uebersetzt vom Polnischen ins nicht nur sprachlich schwer Verstaendliche. Das wird nachgestellt. Dann beginnt die Gruppe der Wooster-Performer mit der Reinszenierung dieses Stuecks. Diese Reinszenierung aber ist ein Remake, ein Wort fuer Wort und Geste fuer Geste dem Original und im Angesicht des auf dem Monitor weiter laufenden Originals nachgeaefftes Nachspiel. Grotowskis "armes Theater" (so sein eigener Kampfbegriff) will zurueck zum Ritual, will den Darsteller an die Grenzen der Darstellung treiben, dorthin, wo die Mimesis in urtuemlicheren Ausdruck kippt. Vom postdramatischen Theaterverstaendnis der Wooster Group ist das, auch wenn Grotowski eine der Ikonen des Postdramatischen ist, weit entfernt. Sie setzt auf Verdopplungen, Distanznahme zur Rolle, Technisierung bis ins Inhumane. Fuer "Poor Theater" aber, das nachstellende Remake, haben sie polnisch gelernt. Das ist der grosse Coup dieses ersten Teils: minutenlang rasen die Performer polnisch. In der Imitation der Ueberschreitung von Mimesis aber verliert sich das Moment der Ueberschreitung. Die Mimesis wird zu Mimikry und das ganze wagt sich ins Niemandsland zwischen Hommage und Parodie. Der zweite Teil setzt das, anders, fort. Nachgestellt wird ein Interview mit William Forsythe, dem Grossmeister des zeitgenoessischen Ballets. Dass er in Frankfurt rausgeschmissen wird, darauf wird angespielt, in einem Einspielfilm, wieder zu Beginn. Dann aber spricht Forsythe in der nachahmenden, nachaeffenden Gestalt eines Wooster-Performers, der im Sprechen ins Tanzen geraet. Daneben, dazwischen drei andere Wooster-Performer, die den Forsythe tanzen. Natuerlich besitzen sie nicht die Perfektion des Imperfekten, die Forsythes Taenzer zu Virtuosen der Improvisation machen. Aber es ist kein Spass, es ist Ernst. Wird im ersten Teil polnisch gerast, so wird im zweiten Forsythe gesprochen und getanzt. Es geht um die eigene Haltung, die sich in der Nachahmung ergibt. Um das Eigene einer Haltung und einer Stellung, die ein Aeffen ist, aber im Ernst. Eine Fremderkundung als Selbsterkundung, ein grandioser Abend, ein work in progress. Kurz vor Schluss heisst es: That's all we have for now. Es geht noch einmal weiter, dann tritt ein Buehnentechniker ans Mikro: The Performance is now over.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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