Montag, 29. März 2004
little india

Habe mir extra die Wegbeschreibung ausgedruckt und die Straßenangaben. In der U-Bahn sitzend gemerkt, dass ich die Blätter zuhause vergessen habe. Egal. Nach Queens, Jackson Heights, Roosevelt Avenue raus, das wusste ich noch, ein bisschen Desorientierung kann ohnehin nicht schaden, wenn man sich umsehen will. Also Roosevelt Avenue raus. Die 7 ist, anders als der R-Train, den ich genommen hatte, keine U-Bahn, sondern eine elevated train, durch ganz Queens, hält alle paar Meter, kann man nur empfehlen, ich habe ihn dann für den Rückweg genommen. Lohnt sich nicht nur wegen des Blicks auf die Dächer der Neighborhoods von Queens (Woodside: irisch, dann kommt etwas Thai-Dominiertes, später griechisch), sondern auch, weil man von nirgendwo sonst die ganze Längsflanke von Manhattan so eindrucksvoll in den Blick nehmen kann. Anders als in Berlin, wo unter den Hochbahnen nur mehr oder minder totes Land zu finden ist (Gehweg, den keiner nutzt), ist hier direkt die Roosevelt Avenue darunter, an deren Seite dicht an dicht die engen Läden sitzen und Restaurants und Diner. Die Hochbahn wirft Schatten, überdacht die Straßenmitte, eine Art invertierter Allee, gibt noch an ihrem Rand das Gefühl, man bewege sich in einer endlosen Straßen-Passage. Bevor ich die Roosevelt Avenue entlang gehe (kilometerlang, ich kann gar nicht mehr aufhören, lasse einen Hochbahn-Aufgang nach dem anderen links liegen), zweige ich ab, in die 74. Straße hinein, hier, glaube ich mich zu erinnern, im Internet gelesen zu haben, liegt Little India. Tatsache. Ein CD-DVD-Laden neben dem anderen, viele Bollywoodfilme, auch Klassiker darunter, schon für fünf Dollar zu haben, Sie können mir glauben, dass ich in jeden einzelnen dieser Läden gegangen bin. Einen der Verkäufer konnte ich sogar überreden, mir Videokassetten (für einen Spottpreis) zu überlassen, die nur für den Verleih gedacht sind. Restaurants, Sari-Shops, ein Plakat, das den World War III ankündigt (das Kricket-Match zwischen Indien und Pakistan, das übrigens gerade zu Ende gegangen ist, mit einem knappen Sieg für Indien, ein Glück, in den Läden wird es schon als Video verkauft). Nur drei, vier Straßen umfasst das hier, aber sofort wieder das Glücksgefühl, in eine ganz andere Welt geraten zu sein (und eine mit Bollywoodfilmen: muss das Paradies sein). Schon hier keineswegs nur Inder unterwegs, sondern Hispanisches, Asiatisches aller Art, an der Ecke ein paar Hare Krishna, ein soignierter älterer Herr verschenkt Reisbällchen, in den Fenstern gelegentlich koreanische Schriftzeichen, eine koreanische Kirche gar. Zurück auf der Roosevelt Avenue wird schon bald klar, dass das hier Südamerika ist. Salsa-Musik aus den Läden, geschluchzter Schnulzen-Pop, mexikanischer Fastfood, brasilianische Restaurants und ein peruanisches, dazwischen immer wieder ein Koreaner. Kilometerlang, ich gehe und gehe und staune und staune, die Gehsteige sind voll, es ist Sonntag, die Hochbahn wirft ihren Schatten. Das Glücksgefühl, in eine andere Welt geraten zu sein.

 
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last updated: 26.06.12, 16:35

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