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Mittwoch, 7. April 2004
gary & nada
knoerer
17:56h
In den 80ern, in San Francisco hat Gary eine Lesung von gordon besucht. Er war beeindruckt, er hat sie nie kennengelernt. Mehr als zehn Jahre spaeter, eine Lyrik-Mailingliste, eine Frage von Nada Gordon, vielmehr "a couple of questions about metaphors & analogies: they are means by which we understand or conceive of something in terms of something else, right?" Gary antwortet, privat, ein Satz "Understanding is translation. Literally!" Die erste Seite von "Swoon", dem Buch, das den E-Mail - und Briefwechsel, der folgt, sammelt, gekuerzt von mehreren tausend Seiten auf gut dreihundert. Er lebt in New York, sie in Tokio. Seit elf Jahren ist sie in Japan, lebt mit einem Haiku-Dichter, der sich fuer ein Genie haelt, der ihre Gedichte nicht liest. Er hat gerade seine Frau betrogen, sie hat ihn rausgeschmissen, er hat eine heftige Beziehung mit einer Frau, die in Venezuela lebt. Ein Briefroman (aber es ist kein Roman), die Geschichte einer Annaeherung, die allen Beteiligten, dem Leser auch, immer wieder unheimlich wird, in Gedichten, in atemlosen Saetzen, irgendwann die Moeglichkeit von Liebe, Ausbrueche von Enthusiasmus, der erste Anruf eine Enttaeuschung, die erste Begegnung, der Sturz zurueck in Prosa, eine weitere Begegnung und alles in der Schwebe. Tokio. New York. Wir fahren im Bus zurueck zur Wohnung, Coney Island Avenue, das ist die haesslichste Strasse in New York, sagt Gary, wir haben die Tueten voller Bollywood-Filme, die wir gerade gekauft haben. Es ist scheusslich kalt, windig, wir haben koscheres Pita gegessen in einem schmutzigen, wunderbaren Restaurant, das voller orthodoxer Juden war, die dort koscheres Pita gegessen haben. Jetzt sitzen wir im Bus und Gary sagt "Wir heiraten im Mai", Nada laechelt. Am 23. Mai ist die Party, einen Termin fuer die Hochzeit gibt es noch nicht, vielleicht macht das ein Freund, der eine eher dubiose Berechtigung dazu hat. Spaeter zeigen sie mir die Hochzeitskleider. Stil: indisch und sie sagen die Namen der Kleidungsstuecke, die ich vergessen habe. Ich habe Fotos gemacht. Erst war ich am Sonntag hier, im Internet-Cafe, habe den Text ueber Raja geschrieben, hier ziemlich weit draussen in einer Strasse, die King's Highway heisst, russisch-ukrainisch-juedisch die Geschaefte, die Menschen auf den Buergersteigen (das Cafe, in dem ich wieder sitze, ein easy internet cafe direkt in einem Burger King, furchtbare Musik aus dem Lautsprecher direkt ueber mir). Dann blickte ich, am Sonntag, auf die Uhr und war verwirrt, die Zeit stimmte nicht, es war eine Stunde spaeter als gedacht und ich glaubte, es liegt an meiner Armbanduhr, die noch auf Austin-Zeit gestellt ist. Ich rief bei Gary und sagte, ich komme zu spaet. Dort schien die Uhr wieder zurueckgestellt, ich habe mir weiter keine Gedanken gemacht, war nur etwas verwirrt. Gestern schrieb mir Gary eine Mail: Zeitumstellung, am Sonntag, daylight savings heisst das hier (immer oekonomisch gedacht), aber er wusste das auch nicht, er ist am Montag eine Stunde zu spaet zur Arbeit gekommen. Wir haben den Sonntag ausserhalb der regulaeren Zeit verbracht, und das ist die reine Wahrheit. Ich kam zur Tuer rein, wir kennen uns nicht, ich hatte ihm nur gemailt, nachdem ich sein Blog entdeckt hatte, er mailte zurueck, komm doch vorbei, wenn Du in New York bist. Ich sage Hallo, mein Blick faellt auf die Regale mit den Bollywood-DVDs, und sogleich zerrt Gary eine nach der anderen raus, you know that, great stuff, manches kenne ich, vieles nicht, wir sind uns bei den Sachen, die ich kenne, meistens einig, er zeigt mir Ausschnitte, eine Frau, die tanzen lernt von einem Goldfisch, eine verrueckte Beatles-Parodie von Shammi Kapoor, atemberaubende Bilder aus Mughal-e Azam, wir bestellen indisches Essen, sprechen ueber Remakes, Nada kocht besser, sagt Gary, Nada erzaehlt von einem Gedicht, das sie geschrieben hat, das Rewrite eines anderen Gedichts, sie empfiehlt mir die Swingle Sisters (habe ich mir das richtig gemerkt). Gary und ich, wr machen abwechselnd Notizen, Dinge, die er mir empfiehlt, Dinge, die ich ihm empfehle. Am Abend, als wir zurueck sind vom koscheren Pita, ueberlegen wir lange, welchen Bollywood-Film wir sehen wollen. This one is not quite guestworthy, sagt Gary und legt ihn beiseite. Wir haben vielleicht zwanzig zur Auswahl, nehmen dann einen, den noch keiner von uns kennt, den wir gerade beim Pakistaner gekauft haben, Sunil Dutt in der Hauptrolle (den keiner, der Mother India gesehen hat, je vergessen wird; er hat dann Nargis geheiratet, uebrigens, die seine Mutter spielt) und auch, zeigt sich beim Vorspann, als Regisseur. "Reshma aur Shera", eine Romeo-und-Julia-Variante, in einer stummen, wenn auch nicht unwichtigen Rolle ein ganz junger Amitabh Bachchan. Die ersten zwanzig Minuten kaume in gesprochenes Wort, ein Jahrmarkt, ein Riesenrad, Blicke, die fallen, Schleier, die vors Gesicht gezogen werden, eine subjektive Kamera, die das Geschehen dem objektiven Raum entzieht. Danach, nach dem Trubel, den vielen, vielen Menschen: die Leere, die Wueste, die Liebe, die verboten ist. Die Geschichte beginnt sich nach einer Stunde zu entfalten, zuvor aber atemberaubende Bildtableaus, starke, selbstbewusste Flammenmetaphorik. Nada und Gary und ich immerzu: look at this, did you see that, kleine Entzueckensschreie, what is he doing now! Das Schlussbild: er liegt tot, erschossen, im Wuestensand, sie stirbt ihm hinterher, rollt eine Sandduene herab, in seine toten Arme, der Wind weht Sand auf die beiden, sanfte Blende um sanfte Blende, bis sie am Ende begraben sind. Es ist spaet in der Nacht, als ich aufbreche (eine Stunde spaeter noch, als wir alle glauben), eine Viertelstunde Fussweg dann durch die 7th Avenue in Brooklyn, es ist nicht mehr sehr kalt, kommt mir vor, die Delis haben noch geoeffnet. Ich lege mich ins Bett, kann nicht schlafen, beginne "Swoon" zu lesen und kann lange nicht damit aufhoeren.
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last updated: 26.06.12, 16:35 furl
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