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Dienstag, 26. Oktober 2004
Viennale-Filme IV: Arnaud Desplechin: Rois et Reine (F 2004)
knoerer
13:44h
Jump Cuts sind eine Irritationsmaßnahme, ein mutwilliger Eingriff in den normalen Lauf der Dinge, Widerstand gegen jene Form des Schnitts, die ihr Tun verbirgt und sich als Übergang vom einen Bild zum anderen so unsichtbar macht, dass man denken könnte, es gebe nichts als die Bilder und dazwischen sozusagen nur einen logischen oder grammatischen Operator, der aber Bilder zu einem Film verbindet wie, sagen wir (um aber alle einschlägigen Theorie-Diskussionen zum Thema gleich wieder links liegen zu lassen), die Regeln der Grammatik die Wörter zu einem Satz verbinden. Sichtbar werden diese Regeln nur im Verstoß und im Stolpern, und genau so ist es mit dem Jump Cut, der ein Sprachfehler, ein Stolpern des Films ist, da jedenfalls, wo er nicht experimentell ist (und Experimentalfilm heißt ja genau das bewusste Stolpern, das Suchen nach den Fehlern, die sich als das Sichtbarwerden der Geschäftsgrundlagen des Funktionierens des Normalen erweisen. Mancher Experimentalfilmer oder Theoretiker des Experimentalfilms verwechselt das Sichtbarmachen der Geschäftsgrundlagen mit der Wahrheit und ihr Unsichtbarmachen im Normalen mit der Lüge, dabei ist das Normale nur Sache der Technik und ihrer Anwendung, eine Kunst des Ausblendens der Operationsweisen, ein Verzicht auch auf Reflexion der Geschäftsgrundlagen im Dienst der Repräsentation). Das ist jetzt ein etwas langer Anlauf zu einem allerdings auch nicht kurzen (aber sehr kurzweiligen) Film, nämlich Arnaud Desplechins "Rois et Reine", Könige und Königin. In diesem Film passiert, wie man so sagt, eine ganze Menge, aber vielleicht sollte man wirklich mit dem Jump Cut beginnen. Der nämlich taucht hier auf, leise wie selten, immer wieder, kaum geschehen, schon vorbei. Eine behutsame Irritationsmaßnahme, nicht mehr als ein Blinzeln. "Rois et Reine" ist ein Film, der vor sich hinblinzelt, der einen anblinzelt, aber nicht, um einen plump ins Vertrauen zu ziehen, sondern wie Eleganz ist dabei keinesfalls mit Zurückhaltung zu verwechseln, bei aller Behutsamkeit. Der Film hat seine hysterischen Momente, denn er hat seine hysterische Hauptfigur. Ishmael (Mathieu Amalric), der von den Hunden des Finanzamts gehetzt wird und der Inbegriff einer Person ist, die ihr Leben nicht im Griff hat, wird in die Psychiatrie eingeliefert. Sein engster Kollege, seine Schwester, auch seine Eltern halten es für eine gute Idee, ihn für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen, auch weil er gelegentlich mit einem purpurnen Königsumhang auf der Straße unterwegs ist. Ishmael ruft seinen Anwalt zu Hilfe, der erst recht der Inbegriff einer Person ist, die ihr Leben nicht im Griff hat, vor allem der Drogen wegen. Der holt ihn, später, raus und hat auch schon eine Idee, wie das Schuldenproblem durch den nun erwiesenen Irrsinn Ishmaels zu tilgen ist. Ishmael wirft der Psychiaterin (Catherine Deneuve) die Ungeheuerlichkeit an den Kopf, dass Frauen leider keine Seele haben und er sucht seine Analytikerin auf, die schwarze Königin der Psychoanalyse, Madame Devereux, ihren Namen schreibt Ishmael auf einen Zettel wie ein Wort, das man nicht aussprechen darf: Und tatsächlich tut es seine zum Glück nie näher erklärte Wirkung. Was er erklärt und was er nicht erklärt, davon nämlich hat der Film so seine eigene Vorstellung, gegen keine Überraschung ist man je gefeit. Der hysterischen Hauptfigur Ishmael steht die Königin gegenüber, Nora (Emmanuelle Devos), Ishmaels Ex-Frau - nicht, dass man das sofort erfährt -, die ihren Sohn Elias über alles liebt (sagt sie), jetzt gerade ihre dritte Ehe ansteuert, in der Sex keine zentrale Rolle spielt (wird sie auf dessen Nachfrage später Ishmael erzählen) und ihren Vater verliert, den der Krebs auffrisst. Nora, der Emmanuelle Devos auf atemberaubende Weise die widersprüchlichsten Konturen gibt, ist eine Heldin, die Tod und Teufel nicht scheut und sie ist eine Teufelin, der, im dritten Teil, ihr Vater eine testamentarische Nachrede zueignet, die ihresgleichen kaum kennt - und nicht weniger überrascht als die meisten der vielen Dinge, die in diesem Film, wie man so sagt, passieren. Auf der Hand liegt, dass es um Familienclans geht, Väter, Söhne, Adoptionen, Familienbande jeder Art. Und um Personen, die nicht sind, was sie scheinen, aber auch wieder das nicht, was sie scheinen, sobald man verstanden hat, dass sie nicht sind, was sie scheinen. Die Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen dem einen und dem anderen, ist nicht klarer als die zwischen Traum und Wirklichkeit und der Film wechselt zwischen beidem, souverän, behutsam, ohne alle Skrupel, mit einem Blinzeln seiner Jump Cuts. Weniger auf als unter der Hand liegen viele Anspielungen - es beginnt mit einer Lithografie, die Leda und den Schwan zeigt, und es erschöpft sich noch nicht in den vielen Gedichtzitaten und beziehungsreichen Namen, die als eine fortwährende Strömung die Geschichten und Verhältnisse, die die Figuren hier miteinander und untereinander haben, akzentuieren, konterkarieren, umspielen und unterlaufen. Nichts als Märchen seien das, die er hier erzählt, meint Desplechin bei seinem kurzen Auftritt vor dem Film, märchenhafte Geschichten von Kindern, die sich für Könige und Königin halten. Das Märchenhafte, dem freilich nichts fremd ist, der Tod nicht, die Liebe nicht und nicht der Traum, der die Wahrheit sagt, dies Märchenhafte ist vor allem die Lizenz zur Überschreitung aller Regeln, zum eleganten fortwährenden Stolpern, eine Equilibristik des sprunghaft Narrativen, die Spiele mit allem Ernst betreibt, und das Ernsthafte spielerisch. Darin liegt der fast nicht erschöpfliche Reichtum von "Rois et Reine".
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