Sonntag, 21. August 2005
Dennis Lynds letztes Wort

Dennis Lynds ist gestorben, den man als Michael Collins hierzulande auch nicht viel besser kannte. Gelesen haben ihn freilich viele, ohne es zu wissen, er war der Autor einer großen Zahl der "Drei Fragezeichen"-Romane. Sehr lesenswert die Serie um den einarmigen Detektiv Dan Fortune. Sehr schnörkelloses Erzählen. Aus seinen politischen Ansichten hat Lynds/Collins dabei nie einen Hehl gemacht, und alle, die ihn kannten, rühmen ihn als großartigen Menschen.

(In diesem Frühjahr hat er einen Monat lang Fragen in meiner liebsten Mailingliste, Rara-Avis - eine Liste für Fans der Hardboiled-Literatur - beantwortet, so freundlich und klug wie erfreut über das Interesse. Er blieb dann, nach diesem Gastspiel, einfach weiter dabei. Von den Unterschieden zwischen den Personen-Fantasmen, die sich bei themenspezifischen Mailinglisten herstellen und denen von Weblogs bin ich, nebenbei gesagt, sehr fasziniert. Ich könnte z.B. auch sagen, wie gerne ich manche Leute lese, als Fan geradezu, Mr. T bei rara-avis oder hoegl in der Luhmannliste. Aber das ist eine, fast könnte man sagen: klandestinere Form der Wertschätzung, man weiß gar nicht, ob man das einfach so hinausposaunen darf...)

Hier eine der letzten Wortmeldungen von Dennis Lynds, im Namen seines Detektivs:

Today this country is going through the most anti-democratic, anti-working man, anti-thinking man, anti-individual, anti-freedom, right-wing, empire-building era since the time of the robber barons, child labor, the sixteen hour work day, and the rampant octopus of the railroads in the late 1800s. And our era doesn't even have the colorful freebooters of those days, but armies of faceless censors, accountants, and corporate executives.

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nur so

Sehr schnell sehr lieb gewonnen habe ich nach Praschls Hinweis gedankenträger.

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Freitag, 19. August 2005
netz

In der Bibliothek von Konstanz, wenn man erst scharf rechts geht, dann die Treppe runter, am Ende der Kopiererebene einen ganz schmalen Eingang nach links, dann wieder scharf rechts: am Ende des Raums mit den Semesterapparaten, in dem ein scharf gezischtes Stillegebot aus nicht vorhandenen Lautsprechern dringt, eine Tür, die nach rechts zu einem Arbeitszimmer für Doktoranden und das Graduiertenkolleg führt. Diese Tür habe ich geöffnet. In der Tür ein Spinnennetz, fleißig hinuntergesponnen von der Spinne auf die Höhe von sagen wir einmetersiebzig. Ich hätte ihr gratulieren können, denn sie saß mittendrin im Netz, putzmunter, wenn man das von einer Spinne sagen kann und der Raum, in den hinein ich mich unter dem Netz hindurch hätte ducken müssen, war leer. Ich habe mich nicht geduckt, ich schloss die Tür. Man pfuscht ja den Parzen nicht ins Handwerk.

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Samstag, 13. August 2005
stadtrundfahrt

Vor ein paar Tagen habe ich auf der Höhe des Kinos Delphi die Kantstraße überquert, als sich ein Bus dem Theater des Westens näherte. So ein Touristenbus mit offenem Verdeck. Da stand ein Mann mit Mikrofon drauf und sagte: ,Und jetzt, meine Damen und Herren sehen Sie gerade Wim Wenders die Straße überqueren.' Alle Leute im Bus kamen daraufhin nach vorn, um zu fotografieren, und ich habe pflichtbewusst gewunken. Dann brachte der Mann den nächsten Satz: ,Und jetzt biegen wir ab ...' - so als sei ich fester Bestandteil der Stadtrundfahrt. Wirklich![q]

Ich finde ja sonst Wenders nicht so lustig, also vor allem dann nicht, wenn er, um es allen zu zeigen, mal so richtig lustig sein will. Ich finde Wenders allerdings auch nicht erträglich, wenn er nicht lustig sein will, vielleicht sogar noch weniger. Was ich sagen wollte: Das ist schon ziemlich lustig.

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Dienstag, 9. August 2005
kardinal vollmeise

SPIEGEL ONLINE: Jetzt heißt der Papst beim Weltjugendtag erstmals Benedikt XVI. War es Ihr Ernst, dass die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst das erste postmortale Wunder von Johannes Paul II. war?

Meisner: Mein voller Ernst. Als Johannes Paul tot war, war ich am Boden zerstört, weil er mich mit dem Weltjugendtag allein ließ. Aber als ich dann vor dem aufgebahrten Papst kniete, habe ich seine Stimme vernommen: 'Das müsstest du eigentlich wissen: Wenn Heilige im Himmel sind, dann nehmen sie teil an den unbegrenzten Möglichkeiten Gottes.'

SPIEGEL ONLINE: Und jetzt schickt er vom Himmel aus Benedikt zum Weltjugendtag?

Meisner: Genau.[q]

Mann, dass der eine solche Vollmeise hat, war mir auch noch nicht klar. Das ist so durchgeknallt, da käme kein Satiriker auch nur annähernd hinterher.

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Freitag, 5. August 2005
louis h. mackey

Er war einer der besten Lehrer, die ich an der Uni hatte. In dem einen Seminar, das ich besuchte, eine Undergraduate-Veranstaltung zu Mittelalterlicher Philosophie, lief er vorne auf und ab und dekonstruierte vor unseren Augen mit knarzender Stimme und viel Sarkasmus und noch mehr Bewunderung die Schriften des Heiligen Augustinus. Er hat über Pynchon geschrieben und Kierkegaard, viel habe ich nicht davon gelesen, überhaupt habe ich nicht viel von ihm gelesen, einen Kommentar zur Derrida-Searle-Debatte (wenn man Debatte sagen will und nicht Schlammschlacht). Ein Denker, der früh zur Dekonstruktion gefunden hat, mit stark pragmatistischem Einschlag. Und ich stelle mir vor, dass das für ihn war, als finde er zu sich selbst. Er hat einen großartigen Auftritt in Richard Linklaters Film Slacker. Dass er, oder jedenfalls eine rotoskopierte Version seiner selbst (s.o.), auch in Waking Life noch einmal zu sehen ist, habe ich erst im Nachruf gelesen, auf den ich vorhin gestoßen bin. Ihm zu Ehren findet im September/Oktober eine Tagung statt, die den wirlich schönen Titel: Wit, Scholar, Mentor: Celebrating the Life and Work of Louis H. Mackey trägt. Auch Linklater wird vielleicht teilnehmen.

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Donnerstag, 4. August 2005
zehn wege 1: zu maurer (über uhlandstraße)

Am Ausgang aus dem geteerten Garagenhof rechts. Die Haltebuchten zur Beruhigung des Verkehrs, die ich jetzt vor mir sehe, kamen später, zweite Hälfte der achtziger Jahre, in einem etwas vagen Sinne gewiss den Grünen zu verdanken, die es jetzt, sagen wir 1979, noch gar nicht richtig gibt. (Aber was weiß ich schon, acht Jahre alt.) Gehsteig entlang an einem Holzzaun, der über die Jahre niedriger werden wird. Noch ist er sehr hoch. Die Latten x-förmig gegeneinander geschert, jenseits des Zauns, über den ich sehr selten geklettert bin, nur ein Rasen. Der Rasen ist sehr langweilig, es ist der Rasen des ADAC-Hochhauses. Zu jedem Haus, glaube ich zu wissen, gehört eine im Verhältnis zum Haus genau berechnete Rasenfläche, jedenfalls hier, bei uns, und da das ADAC-Hochhaus sehr hoch ist, es ist das höchste Haus der Stadt, ist der Rasen sehr weitläufig. (Vielleicht der erste Eindruck von einer nicht genau begrenzten, nicht mit einem Gedanken zu fassenden Fläche.) Zugehöriger Mythos: Man hat mir erzählt, dass es einst eine Abstimmung gab, unter den Bewohnern des ADAC-Hochhauses, als sie gerade eingezogen waren, und dass diese Abstimmung zum Beschluss geführt habe, es solle ein Fußballplatz entstehen, auf dem großen Rasen vor dem hohen Haus. Das ist aber nie passiert. (Frühe Erfahrungen mit Demokratie.) Es gibt nur einen auch nicht sehr aufregenden Spielplatz am hinteren Ende, abgegrenzt durch eine niedrige Hecke mit dornigen Büschen, auf den man über den Zaun in der Lücke zwischen zwei Garagenreihen klettern konnte. Wir haben immer Fußball im Garagenhof gespielt, Bälle gegen Garagentore geknallt. Aber wenn wir drüberschossen (ich habe oft drübergeschossen), landete der Ball auf dem langweiligen Rasen.

Das ADAC-Hochhaus, dem ich mich jetzt nähere, trägt diesen Namen, weil ganz unten, ganz vorne lange Jahre eine ADAC-Filiale sich befand und gelb leuchteten die Buchstaben am Haus, besitzergreifend. Dabei war die Filiale sehr klein, eine Reinigung daneben, auch ein Friseur, glaube ich. Wir haben oft beim ADAC im ADAC-Hochhaus unsere Reisen gebucht, nach Italien vor allem. Ich habe den ADAC deshalb sehr lange in erster Linie für ein Reisebüro gehalten. Es hat auch eine ganze Weile gedauert, bis ich die ADAC motorwelt mit, wie sagt man, kritischen Augen gelesen habe, zuvor fand ich sie immer nur sehr uninteressant, wenngleich ich sie natürlich gelesen habe, weil ich immer alles gelesen habe, auch die Frau im Spiegel bei meiner Großmutter, aber ich schweife ab.

Ich gehe am Zaun entlang und quere auf Höhe des ADAC-Hochhauses die Straße, später wird das, mit dem Auto, eine fiese rechtsvorlinks-Kreuzung. Es gibt eine Alternative, jedenfalls noch, von der anderen Straßenseite (triviale Alternative) mal abgesehen, denn wir schreiben das Jahr 1979. Da ist eine Grünfläche, ungepflegt, nur ein Trampelpfad, quer durch, mit viel Hundescheiße. Kein Hinderungsgrund - im Gegenteil! - der kürzeste Weg, ich gehe ihn oft. Später wurden Mehrfamilienhäuser hingestellt, die da heute noch stehen. (Natürlich. Was verschwindet, ist das Vergangene, nicht das Zukünftige.) Die gehören da nicht hin, denke ich noch heute, wenn ich sie sehe. In der Uhlandstraße kommt jetzt gleich ein Süßigkeitenautomat, wenn man zehn Pfennig hineinsteckt und mit einer raschen Bewegung den keilförmigen Hebel nach rechts dreht, verschwinden erstens die zehn Pfennig und einige runde, bunte Kaugummikugeln rasseln zweitens, aber im Grunde, denke ich jetzt, gleichzeitig, in den Ausgabeschacht, besser hält man die Hand davor, manchmal springen die Kugeln, weil sie zuviel Schwung haben, hinaus und auf den Boden, dann muss man darüber nachdenken, ob man sie an der Hose abwischen und noch in den Mund stecken will oder nicht. Erst sind sie ganz hart, man beißt darauf, dann werden sie gleich weich. Wenn ich mich nicht täusche, sind es sogar zwei Automaten. Der zweite verlangt fünfzig Pfennig und versteckt Schätze in Kapseln zwischen den größeren Kaugummis, die man dann meistens erwischt. Aber fünfzig Pfennig sind viel Geld.

Es geht vorbei an den Garagen links, vor denen eine hellbraune, staubige Schotterfläche sich ausbreitet. Die Garagentore sind ausgebleicht (vielleicht nur in meiner Erinnerung, durch meine Erinnerung). Da geschieht eigentlich nie etwas, da blicke ich nur kurz, prüfend hin, für alle Fälle, achte vor allem auf eine Garage, die den Eltern eines Klassenkameraden gehört. Interessanter sind die Gärten der Reihenhäuser rechts. Es sind Hecken davor, aber man sieht Menschen im Garten, falls jetzt Sommer ist, sonst gibt es auch hier nicht viel zu beobachten. Ein schmaler Pfad nach rechts, vorbei an der Metzgerei Walz, zu der ich hinterher noch gehe. Was trage ich in der Hand? Einen Korb? Nein, vermutlich gar nichts. Vielleicht einen Stoffbeutel in der Tasche. Der Blick auf die Kirche, das Pfarrheim, bevor ich abbiege. Plötzliche Veränderung des Raumatmosphäre: dunkler, kühler, fast ein wenig unheimlich. Der Weg ist schmal, eine recht hohe Hecke rechts, Häuser links. Am Ende, vor der schmalen Straße, an der linken Ecke dann Maurer, der kleine Edeka-Laden, bei dem ich so oft eingekauft habe, losgeschickt von meiner Mutter, Einkaufszettel in der Hand. Zehnpfennigeis stand nie drauf, aber das konnte man natürlich lässig aus der Folie lutschen, auf dem Weg nach Hause und keiner hat was gemerkt.

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