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Dienstag, 17. Mai 2005
papierspender
knoerer
14:51h
Es gibt diese Probleme, die simpel scheinen, aber bis heute nicht zufriedenstellend gelöst sind. Händetrocknen in öffentlichen Räumen zum Beispiel. Für die sinnloseste Erfindung der jüngeren Hygienegeschichte halte ich Handtrockenbläser. Erstens sind sie zu heiß und zweitens trocknen sie nicht, selbst wenn man wie nicht ganz gescheit die Hände wringt und reibt im Luftstrom. Auch schlecht: Die Endlostücher, die zwar endlos, aber immer viel zu schnell zu Ende sind und an anderer Leute Restfeuchte möchte man sich auch nicht unbedingt die gerade gesäuberten Hände schmutzig machen. Bleiben die Papierspender, die automatischen, surrenden, die Stück für Stück die Trockentücher ausspucken wie eine Polaroidkamera die noch unentwickelten Aufnahmen, falls man im richtigen Winkel mit der Hand über den Sensorknopf fährt und überhaupt das alles nicht sowieso gerade kaputt ist oder der Spender leer. Dann reißt man ruckartig ab. Oder die simplen Papierspender, bei denen man immer zu viele Papiere auf einmal herauszieht, die landen dann auf dem Waschbeckenrand, wo sie zusehends zu Matsch werden. Im Cinestar im Sony Center gibt es eine Kombination: Dünnes Papier zum Abreißen, bei dessen Anblick mich gestern der Gedanke (und zwar sofort, beinahe unwillkürlich) durchzuckte, ich müsse es einem Belastungstest unterziehen. Sehr ruckartig zog ich, in der Hoffnung, es möge reißen. Es riss aber nicht, nur habe ich seither dieses Ziehen im Bizeps des rechten Arms und als es gerade wieder zog bei einer Bewegung dachte ich mir: The world wants to know. Großartig, wirklich großartig war dafür I Heart Huckabees, dazu aber, hoffe ich, mehr an einem Tat, an dem ich mich etwas luzider fühle als heute. Edit: Und dann kommt die Menschheit wieder auf so was. ... Link
gesellschaftsspiele
knoerer
10:50h
Ah, Gesellschaftsspiele. Eigentlich mag ich Gesellschaftsspiele. 1. You’re stuck inside fahrenheit 451, which book do you want to be? Das wäre dann natürlich schon die Recherche. 2. Have you ever had a crush on a fictional character? Vielleicht Ntschotschi? Das ist dann aber eine Weile her. 3. The last book you bought is: Colm Toíbín: The South. 4. The last book you read: dito 5. What are you currently reading? Nathalie Sarraute: Martereau 6. Five books you would take to a deserted island. Proust: Recherche, Shakespeare: Dramen, Jean Paul: Der Titan, Goethe: Wilhelm Meister (oder die Wahlverwandtschaften), Ovid: Metamorphosen (oder den Parzival). (Eine Mischung: Proust zu Ende lesen, Jean Paul liebe ich und den Titan wegen Gianozzo, Shakespeare ist unerschöpflich, Goethe unergründlich und in Ovid steckt die ganze Welt, in Wolframs Welt dagegen kann man sich verlieren. Könnte aber sein, dass ich in philosophischer Stimmung bin beim Aufbruch auf die Insel: Dann würde ich eher eines der dicken Blumenberg-Bücher einstecken, weil zu dieser Situation nichts besser passt, und wahrscheinlich die Phänomenologie von Hegel, weil man sich damit lange beschäftigen kann.) Das Stöckchen weiterzureichen, ist mir aber zu doof. ... Link Montag, 16. Mai 2005
hattrick
knoerer
16:34h
Drei sehr schöne Romane hintereinander gelesen, in Irland. Robert Stones höchst merkwürdigen "Bay of Souls" (auf Deutsch leider etwas feige: Die Professorin), der sich die irrste Schnitt-Stelle zwischen nicht Zusammenpassendem leistet, die mir seit langem untergekommen ist. Das Buch zerfällt in einen Campusroman mit leise unheimlichen Seitenbegebenheiten einer- und einen Voodoo-Thriller mit manifest haarsträubenden Ereignissen andererseits. Faszinierend (und keineswegs leicht zu sagen) ist, wie das eine zum anderen sich verhält. Schroff steht es gegeneinander, zunächst. Eine radikale Fremdheits-, Entfremdungsgeschichte, durch die vom ersten Satz an eine dunkle, kalte, starke Strömung zieht, die alles an ein finsteres Ende spült, langsam, gewaltig, unaufhaltsam, über den brutalen Schnitt, der die Wirklichkeiten trennt, hinweg. Ganz anders Orhan Pamuks Debüt "The White Castle" (englische Übersetzung gelesen), nur auf den ersten Blick ein orientalischer Historienroman. Um zwei Männer geht es, die einander begegnen, belauern, nah, fremd sind und der Verdacht, sie seien am Ende einer und der selbe, wird genährt, aber nicht bestätigt. Ich bin selten einer so überzeugenden Verbindung von Fabulatorischem und intellektueller Konsequenz begegnet. In der Regel schließt sich das gegenseitig aus. Hier wird es zur Erzählung von einer Freundschaft, die zwar eine Art ständig umspielte Denkfigur, aber darin nichts so Simples wie eine Parabel ist. Und dann der schon erwähnte Colm Toíbín, zu dem ich griff, weil sowohl John Banville (den ich verehre) als auch Don DeLillo (zu dem ich ein tendenziell bewunderndes, insgesamt aber etwas gespaltenes Verhältnis habe) ihn positiv geblurbt haben. (Ich gehöre zu denen, die sehr auf positive Blurbs von ihrerseits geschätzten Autoren und Kritikern ansprechen.) Das jüngste Werk Toíbíns - "The Master" - ist ein Roman um Henry James. Der Titel scheint mir schon mal perfekt, wenn auch beinahe unausweichlich. Demnächst mehr. ... Link Samstag, 14. Mai 2005
walter böhlich
knoerer
14:17h
Es ist doch eigentlich sehr ungerecht, dachte ich gerade, dass ein kleiner Wendewicht wie Enzensberger so berühmt ist, während, das war der wichtigere Teil des Gedankens, Walter Böhlich so schmählich vergessen scheint. War als Lektor und Übersetzer in Nachkriegsdeutschland bedeutend, hat später Rowohlt Jahrhundert herausgegeben, natürlich nicht so hübschhübsch und oberstudienratsregaltauglich wie die Andere Bibliothek, aber doch wagemutiger und mit den wichtigeren Texten. Und dann immer in der Titanic, als alter Kämpe, irgendwie hat das nie jemanden wirklich interessiert, oder? Es war aber meistens gar nicht dumm, glaube ich mich zu erinnern, aufrecht und wenig geschmeidig in ideologischer Hinsicht. Heute aber kräht kein Hahn mehr nach Böhlich. Jahrgang 1921, lebt noch, mehr weiß ich auch nicht. Sollte man vielleicht mehr wissen wollen. (Und was immer ich von Enzensberger in die Finger kriege, Neuestes, Ältestes, Lyrisches, Essayistisches: nichts davon taugt wirklich was. Oder übertreibe ich?) ... Link
desperado
knoerer
12:27h
Im Zug - immer sehe ich Filme jetzt im Zug - hintereinander "El Mariachi" und "Desperado" von Robert Rodriguez. Letzterer ist so richtig schlecht. Wenn auch auf hohem Niveau. Wie eine CD, die man einlegt, um die Anlage zu testen, damit die zeigt, was sie kann. Rodriguez will hier ganz doll zeigen, was er kann und für wenig Geld und im Kommentartrack - immer höre ich mir jetzt diese Kommentartracks an - macht er gar kein Geheimnis daraus, dass er beweisen wollte, für wie wenig Geld er einen Film machen kann, der teuer aussieht. Ja, er sieht teuer aus und hat nur sieben Millionen gekostet. Besonders stolz ist er auf die Blutpistole, besser und billiger als alle Sprengkapseln. Leider musste das meiste Blut hinterher wieder rausgeschnitten werden. Schlecht ist der Film, auf hohem Niveau, weil er so erzählt ist, dass man in jeder Sekunde merkt, Rodriguez hätte genauso gut auch etwas anderes erzählen können. Oder gar nichts. Vielleicht will er ein andermal ja auch nur beweisen, dass er 12 Bälle gleichzeitig in der Luft halten kann. "Desperado" ist so schlecht, weil er bar jeden Geheimnisses ist. Und stolz darauf. Alles, was er zu zeigen hat, zeigt er und Schluss. Er ist das Gegenteil von prätentiös. Präsentiös, vielleicht könnte man das sagen. Versessen aufs Präsentieren von Dingen, die er kann ohne zu wissen, warum man sie können sollte. Wie ein kleiner Junge erklärt Rodriguez auf dem Kommentartrack - immer höre ich jetzt diese Kommentartracks -, dass er im Schnitt 55 Einstellungen am Tag schafft, wo andere doch nur 12 oder so schaffen. Er vergisst aber zu erklären, wozu diese 55 Einstellungen nun gut sind. Nein, stimmt nicht, er erklärt das sogar: Sieht teurer aus, sagt er. Im Ernst jetzt. Der meint das so. ... Link
cahiers
knoerer
09:32h
Erst für Mai, jetzt für Juni angekündigt: Der neue Internetauftritt der Cahiers du Cinéma. Wenn ich recht verstehe, wollen sie die Inhalte sämtlicher Hefte seit 1951 ins Netz stellen. Ob gegen Gebühr oder umsonst, ist noch nicht zu erfahren. Es wäre in jedem Fall grandios. Ich bin gespannt, nach all den Pannen und raschen Rückzügen nach vorsichtigen Vorstößen, die es bisher gab. (Und, ja, auf dem jüngsten Cover ist Sharon Stone. Wird wohl in Zukunft, ähnlich wie beim Film Comment, so sein, dass man sich vom Cover nicht irritieren lassen darf. Beide kämpfen, wenn ich das richtig sehe, gegen Popularisierungsansinnen von geldgebender Seite. Sehr geärgert habe ich mich neulich, das nur nebenbei, dass Michael Althen die derzeitigen Cahiers als "verstiegen" kritisiert hat. Als wären sie nicht genau dafür zu loben und zu preisen in Zeiten wie diesen.) ... Link Dienstag, 10. Mai 2005
a shrinking country
knoerer
13:05h
Wie sich der Raum und die Zeit ineinander stauchen können, verdichten, verdünnen. Aufbruch nach einer Woche am Morgen aus Cork, vom Flughafen, an dem gebaut wird mit Eifer und Eile. Daneben, durchquert vom Bus, der Zubringer ist für die Flugzeuge wie den keltischen Tiger und seine Symbole, das Industriegebiet, das aus dem Boden gestampft wurde in kürzester Zeit und nun einer gloriosen irischen Zukunft zuarbeitet. Die jungen Männer, die im Industriegebiet aussteigen, sprechen englisch miteinander, aber ihre Muttersprache ist es nicht. Klein ist der Flughafen, aber Internet, wireless und gratis, überall. Irische Zeitungen, von denen es so viele gibt, aber sonst nur der Guardian, nichts aus dem europäischen Ausland. Vor wenigen Jahren wurde der Cork Examiner umgetauft und heißt jetzt Irish Examiner, die Kulturhauptstadt Europas, von jeher die rebellische Second City des Landes, hat wohl damals schon etwas vom Wachstum ihrer Bedeutung geahnt. Sie liegt im Flusstal, man hat einen Blick, der sie vollständig zu erfassen scheint, wenn man hinunterfährt von der Flughafenseite, die Innenstadt eingefasst von zwei Armen des River Lee, der hinter der Stadt zum Strom sich weitet und ein paar Kilometer flussabwärts ins Meer fließt. Manchmal, wenn die Wolken sehr niedrig sind, scheinen sie sich weiß und wuchtig über den Hügel auf der anderen Seite zu schieben, ein friedliches Watteheer. Abrupt wechselt das Wetter, minutenlang scheint manchmal noch die Sonne, obwohl es schon regnet. Für Regenbogen aber scheint keine Zeit und kein Platz zu sein. Die Stadt ist geschäftig, sehr belebt, alle internationalen Ketten vertreten, aber auch der English Market ist höchst lebendig, die Markthalle, in der Fisch und Schokolade, Fleisch und delicatessen üppig sich ausbreiten und ohne falsche Bescheidenheit auf den Wohlstand hinweisen, der breite Schichten der irischen Bevölkerung eher unvorbereitet getroffen hat. In vielen Geschäften und Lokalen die Schilder: staff wanted. Unsere Vermieterin, die in Cork geboren ist, zeigt sich wenig beeindruckt. Sie organisiert die Charity Shops einer Kirchengemeinde und sieht viel von der Kehrseite des Globalisierungsgewinnlertums. Immer wieder schüttelt sie den Kopf, wenn ich sie nach dem Wirtschaftswunder frage, einer der Charity Shops musste gerade schließen und als wir durch den Stadtteil Togher fahren, rät sie mir davon ab, mich nachts dort herumzutreiben. Viel Geld will sie nicht, für die Übernachtung. Das Haus, in dem sie seit langem lebt, befindet sich ganz in der Nähe eines kleinen, künstlich angelegten Weihers, in dessen Inneren auf einer von Pflanzen umwucherten Insel Enten und Schwäne und Gänse leben und brüten. Morgens versammeln sie sich in großen Scharen auf den Wiesen um den Weiher, abends schwirren einem die Fledermäuse um die Ohren, auf dem Rundweg darum herum. Die Konferenz, die ich besuche, trägt den Titel "Money and Culture" und wahrscheinlich passt das. Alle sprechen englisch, aber nur für eine Minderheit ist es auch die Muttersprache. Leise Akzente und heftige Akzente sitzen auf den englischen Wörtern und reiten manchen Satz ins Unverständliche. Jochen Hörisch, der keynote speaker, erzählt, dass er seinen Text von einem amerikanischen Austauschstudenten habe ins Englische übersetzen lassen. Heraus kam eine Wort-für-Wort-Übertragung, ego und alter, zitiert er, wurde ihm präsentiert als ego and age. Er hat dann an einem Tag den ganzen Vortrag selbst übersetzt, obwohl er des Englischen nicht gerade prächtig mächtig ist. Aber der Charme des launig-bärtig Cherubshaften reißt manches raus. Es ist eine der im angelsächsischen Raum sehr üblichen Tagungen, bei denen mehrere Panels gleichzeitig stattfinden und sich deshalb viel zu viele Teilnehmer auf den Gängen drängeln. Das Niveau schwankt stark. Wirtschaftsliberal geht es auch an der Uni zu: Die Räume müssen von den Veranstaltern – die Angestellte der Universität sind – von der Universität angemietet werden, auch das technische Gerät, für teures Geld. Schmutz starrend die Tische, keiner da, der einem erklärt, wie alles funktioniert. Wie solche sinnlosen Gesten von Effizienz und Profitmaximierung nicht nur dumm sind, weil sie Zeit, Geduld, Energie kosten, sondern auch eine Schäbigkeit produzieren, die als sekundäre Armut den gewöhnlichen Mangel an Lieblosigkeit weit übertrifft. Zu sehen sind, auf den ersten Blick und einen weiteren erhascht man in der Regel kaum, wie immer bei solchen Tagungen vor allem Typen: Menschen in Aggregatszuständen von Karriereförmigkeit. Es gibt die mehr oder minder Gescheiterten, die Arrivierten, die, die noch hoffen und die, denen der Wille, es zu schaffen, in die Modulierung jedes Satzes geschrieben ist, den sie formulieren. Alles hinter sich hat der Dekan, ein Musikwissenschaftler, der im Schlabberpulli die Eröffnungsrede spricht und einen nicht so netten, beinahe pointenlosen Schwank über einen Komponisten erzählt, der keinen Kredit erhält. Einer der beiden Veranstalter, der aus Deutschland stammt, begrüßt die Gäste mit ein paar gälischen Sätzen. Das gehört hier dazu. Der Verlust der alten Identitäten wird mit Nationalismen kompensiert: Von der Regierung propagierte Rückbesinnung aufs Irische. Unsere Vermieterin dagegen, eine Vertreterin des Patriotismus alter Schule, bedauert, dass das gälische Wort für Auto inzwischen durch das englisch "car" ersetzt wurde. Ein echtes Verlustgefühl, sozusagen, und auch hier wieder das Sekundäre der künstlichen, Traditionen fundamentalistisch falsch neuerfindenden Rückwärtsgewandtheit, das alles primär Reaktionäre an Scheußlichkeit noch einmal übertrifft. Erstmals in seiner Geschichte ist Irland ein Einwanderungsland, man sieht auf den Straßen Menschen aus aller Herren Länder, nicht so viele, aber es ist doch unübersehbar. Der Rassismus greift um sich, man muss nur Taxi fahren, sagt ein Bekannter, ein deutscher Wissenschaftler, der in Galway arbeitet, einem einst beschaulichen Ort am Meer, der nun die am schnellsten wachsende Stadt Europas ist. Merkwürdig, wie sich die Probleme zu gleichen scheinen, in der shrinking city Frankfurt (Oder), die ich aus jahrelanger Anschauung kenne und in den exploding cities der Wirtschaftswundernation, auch wenn auf den ersten Blick alles anders ist. Mit Ryanair, der low-fair-line, bei der man für vier Euro eine Dose Bier im Flugzeug kaufen kann (der Flug ist im günstigsten Falle billiger), fliege ich erst nach London-Stansted, der weit außerhalb Londons ins Grüne gebauten, architektonisch am Modell "Zelt" orientierten Abfertigungsstätte für diverse Billigfluglinien. Überall die Plakate, die zeigen, von wo nach wo geflogen wird, für wenig Geld, alles wie improvisiert, rasch hochgezogen, noch nicht fertig, auf Dauer im Umbau. Draußen, vor den Türen: Felder. Wer etwas über Nicht-Orte lernen will, wird hier Schritt für Schritt fündig. Irrealer noch dann die nächste Station, Frankfurt-Hahn. Nicht nur von Frankfurt keine Spur. Hier fliegt nur Ryanair, das ganze nicht größer als ein Provinzbahnhof, aber am zweiten Terminal wird bereits gebaut. Eine merkwürdige Mischung aus Goldgräberstimmung und ländlicher Verschlafenheit. Werbe- und Hinweisschilder, an die keine professionelle Agentur Hand angelegt hat. Ein Boom, bei dem sich die ausgefuchste Computerberechnung von Fluggastzahlen und Preisen und der von wirklicher Geschäftstüchtigkeit noch nicht allzu sehr getrübte Wunsch nach Teilhabe, der die Leute in der Gegend eher unvermittelt ereilt hat, merkwürdig mischen. Das Busunternehmen Bohr mit seiner Basisstation gleich neben dem Flughafen, das einen Shuttle-Bus nach Frankfurt (Main) anbietet, eine Stunde fünfundvierzig Minuten zum Hauptbahnhof (Hintereingang), durch eine Landschaft, die weder shrinking noch exploding aussieht, sondern einfach nach Heimat und Heimat 3 – und im dritten Teil der Fernsehserie kann man ja sehen, wie einer der Simons, der mit seinen Geschäften kein Glück hat, sich den alten Militärflughafen Hahn ansieht, um Gebäude für seine Firma zu nutzen. Edgar Reitz schreibt das ein in alte Muster von Vater-Sohn-Kämpfen, aber wenn man hier ist, sieht man rasch, dass das ein nostalgischer Zug ist. Dieser Ort ist mit keiner Heimat mehr verbunden. Er ist eine Gelegenheit, ein Koordinatenpunkt, an dem eine Geschäftsidee Gestalt annimmt, ohne Beziehung zu Grund, Boden, Geschichte. Wie stets in solchen Fällen ist die allem Konservativen abgewandte Seite des neuen Liberalismus sehr handgreiflich zu spüren, das von der Scholle Befreiende daran, aber auch die Rücksichtslosigkeit, mit der hier alles durchschnitten wird, das Bindung wäre, Heimat, Verortung. Einer der Vorträge auf der Tagung ging um das neue, das virtuelle Geld und Kunst, die nach Repräsentationsmöglichkeiten dafür sucht und die Referentin von der University of California, Santa Barbara, die etwa in meinem Alter ist, rattert mit der Geschwindigkeit und Humorlosigkeit eines Maschinengewehrs die neuesten Theoriediskurse herunter, hat alles gelesen, kann alles erklären und sucht dann doch mit einer Geste, die einem ganz anachronistisch vorkommt, nach Subversionsmöglichkeiten zwischen hacktivism und Cyberkunst. Auf der Busfahrt über die Autobahn, während ich im SPIEGEL die Titelgeschichte lese, die rhetorisch danach fragt, wo man die Oma hinsteckt, wenn sie es nicht mehr schafft, höre ich im Radio, das läuft, einen Bericht, in dem die Befürchtung geäußert wird, dass die Frankfurter Börse zur Provinzbörse wird in naher Zukunft. Ich verstehe nicht warum, das Radio ist nicht sehr laut, aber als wir auf Frankfurt zufahren und die Bankentürme auftauchen, muss ich an die deutschen Banken denken und daran, das überall zu lesen ist, sie seien zu klein für den globalen Markt und würden bald aufgekauft von größeren Banken. Gleich kommen mir die Hochhäuser niedrig vor und Frankfurt sehr klein, eine shrinking city in a shrinking country. Mit dem ICE geht es von Frankfurt nach Würzburg, wo ich eine Viertelstunde Aufenthalt habe und kurz auf den Bahnhofsvorplatz hinaustrete, um sentimentalen Erinnerungen nachzuhängen, an den Beginn des Studiums, Anfang der 90er Jahre. Auf den ersten Blick hat sich wenig verändert, der etwas unförmige steinerne Brunnen auf der Rasenfläche vor dem Bahnhof muss seit einiger Zeit schon von einem schiefen Holzgerüst gestützt werden, damit er nicht zusammenbricht unter der Last seiner Jahre. Zuletzt, es ist sehr dunkel, der Bummelzug, der mich nach Hause fährt, in die Heimat, die kleinen Orte abklappert, Ochsenfurt, Uffenheim, Oberdachststetten, Ansbach. Ich lese, den ganzen Tag schon, im Flugzeug, auf dem Flughafen, im Zug, Colm Toíbíns Roman "The South“, die Geschichte einer Frau, die Anfang der 50er Jahre aus Irland flieht und aus ihrer Ehe, aus ihrem kleinen irischen Dorf nach Barcelona, sich in einen Maler verliebt, der einst gegen Franco kämpfte. Sie ziehen in ein Pyrenäendorf, es gibt einen anderen Mann und Toíbín erzählt mit Lücken, ohne aus irgendetwas ein Geheimnis zu machen, in sehr einfachen, sehr kurzen Sätzen, die doch nicht auf falsche Wucht aus sind. Es ist eine sehr traurige Geschichte, obwohl es um ein Leben geht, das man nicht als misslungen bezeichnen kann. Sie ist traurig, weil man sieht, dass auch ein solches, vielleicht sogar gelungenes Leben voller Abschiede ist und unerfüllter Hoffnungen und dass auch die Erfüllungen nicht von Dauer sind. Als ich in Ansbach aussteige, das Bahnhofsgebäude ist bereits abgeschlossen, aber natürlich kenne ich den kürzesten Weg darum herum, bin ich noch nicht ganz fertig mit dem Buch. Auf der anderen Seite des Gebäudes wartet mein Vater mit dem Auto, es ist kurz vor Mitternacht. Er erzählt mir, dass auch die zweite der beiden Katzen, die sie letztes Jahr zu sich genommen haben, innerhalb weniger Wochen überfahren worden ist. Im Bett lese ich die letzten Seiten des Buches, es endet friedlich, aber ohne falsche Versöhnlichkeit. ... Link ... Nächste Seite
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