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Montag, 25. Oktober 2004
Viennale-Filme I: Lee Kang Sheng: The Missing (Taiwan 2003)
knoerer
09:21h
Was ist das: pure Manier? Der Blick geht durchs Aquarium, Blasen treiben nach oben, Fische schwimmen putzmunter durchs Wasser. Dem Blick aber ist nur das Wasser gegeben, durch das er durch muss, im Raum dahinter ein alter Mann, der eine Zeitung liest. Dann wird er sie zerreißen (das sehen wir schon von anderswo), dann ins Aquarium werfen (das sehen wir gar nicht). Die Fische überleben's nicht, auf einem Streifen, der ins tote Wasser mit den toten Fischen hängt, steht: Eine neue Pest. Es geht um SARS, aber sehr am Rande, auf einer zerfetzten Zeitung unter toten Fischen. Später wird ein Fernseher laufen, es wird wieder von SARS die Rede sein, sehr am Rande, dann wird der Fernseher ausgeschaltet. Der Junge, der der Enkel des Zeitung zerreißenden Großvaters ist, bricht auf. Das sehen wir. Das vom Großvater geschnürte Essenspaket hängt er am Rande eines Spielplatzes an einen Baum, da hängen schon die vom Vortag. Er geht nicht zur Schule, er geht in den Spielsalon, Ego-Shooting. In einem Bildschirm-Dialog mit einem Mitspieler fragt er, wann sie stark genug sind, Bush zu beseitigen. Die große Politik, sehr am Rande. Im Vordergrund geht es, tote Fische und aufsteigende Blasen, um anderes. Auf der Toilette. Eine sehr lange, sehr starre Einstellung, auf der nichts zu sehen ist als ein leerer, hässlicher Toilettenraum. Ein Geräusch ist zu hören und wenn es kein Orgasmus ist, dann ist es ein typisches Toilettengeräusch. Am Ende dieser Einstellung wird eine ältere Frau zu sehen sein, sie hockt auf der Toilettenbrille. Dann geht sie hinaus ins Freie und sucht ihren Enkel. Er ist verschwunden. Die Kamera hat einen Standpunkt gefunden und gräbt sich dort ein. Sie folgt unbewegt der Frau, die über den Platz, durch einen Park rennt, hin, her, nach dem Enkel fragt. Manchmal gerät sie, in einer bald darauf folgenden an den Rand der puren Manier getriebenen Einstellung, aus dem Blick, zu sehen ist nur noch Gras, ein Hügel, dahinter verschwindet sie, fast vollständig. Ihr folgt der Film, bis zum Ende. Und dem Jungen, der sich auf die Suche nach seinem Großvater begeben wird. Zwei Suchende, durch Taipeh irrend, durch Einstellungen, die eine eingegrabene Kamera entwirft. Einmal aber eine rasante Fahrt auf dem Motorrad, hinaus aus der Stadt, zum Militärfriedhof, der aussieht wie eine Schwimmbadumkleide, die Frau wird Hühnchen mitbringen und ein Feuer anzünden und sie wird weinen minutenlang, während sich die Kamera nicht bewegt. Ungerührt, ja, jeden Kommentar zum Thema Rührung verweigernd. Für Innenleben jeder Art interessiert sie sich nicht, Verzweiflung notiert sie, ihrem eigenen Nicht-Bewegungsgesetz folgend und den zwei Figuren, die sich sich ausersehen hat. Die Beschreibung von Verhältnissen funktioniert über das Entwerfen von Bildräumen. Einmal der Junge vor seinem Ego-Shooter, im unscharfen Vordergrund sein Hinterkopf nur angedeutet, der Rest ist Ballerei. Kurz darauf der Hinterkopf des Jungen scharf im Bildmittelpunkt, gerahmt nur vom Videospiel. Kurz darauf frisst sich die Kamera an der Pupille des Jungen fest, sucht darin die Schärfe des Videobildes, den Spiegel der Bewegung auf dem Bildschirm. Diese Kamera denkt sich noch das Auge des Menschen als Aufzeichnungsapparat, unbeteiligt, Oberfläche, glatt. Eine Wasserfläche, ein Spiegel, darin findet das Ende seine Leitmotive wider. Der Junge, die Großmutter, die Suchenden in Taipeh, finden einander. Sie verfolgt ihn, an einem von Regenwasser gefüllten kleinen Teich in einer Baustellenbrachlandschaft kommen sie zur Ruhe, sie und ihre Spiegelbilder. Ein Zaun umgibt den Teich, die beiden, die sich nicht berühren werden, die am Wasser kauern, mit ihren Bildern im Wasser. Dann ist eine Wand zu sehen, Schatten darauf, ein Mann, ein Kind, ein Schwert. Die Wand ist ein Zaun, er umzäunt das Wasser, an dem die Frau, der Junge sitzen. Sie werden zueinander nicht finden, getrennt durch den Willen zum Zaun, die Unfähigkeit der Kamera zur Berührung. Pure Manier? ... Link Freitag, 22. Oktober 2004
müde scherze
knoerer
11:31h
Gestern über Anke Engelkes letzter Nachtshow eingeschlafen. Zu Alice Schwarzer kam's nicht mehr. Müde Scherze für müde Zuschauer. Eigentlich einfach nur traurig. Ich weiß nicht mal mehr, wovon ich dann geträumt habe. ... Link Donnerstag, 21. Oktober 2004
bush junta
knoerer
13:15h
Wenn das nicht nach etwas klingt, was man sich mal näher ansehen sollte: The Bush Junta (Amazon-Link), herausgegeben von Gary Groth (Fantagraphics, The Comics Journal), eine comicjournalistische Aufarbeitung der Geschichte von Familie Bush. Gary Sullivan: The Bush Junta does two seemingly opposing things at once, and pulls them both off. 1. It clearly, unemotionally, and coherently chronicles the Bush family and associate's rise to power, documenting as it does their ties with the Nazi Party, the Watergate break-in, Manuel Noriega, John Hinckley, Jr., the Carlyle Group, Saddam Hussein, the bin Laden family, the Project for the New American Century, the Iran hostage kidnappers, the 2000 election fraud--on and on. It also includes a 12-page listing of sources used in the making of the book, broken down by chapter. 2. It presents a wide range of stylistic and formal approaches to comic art. These include Jem Eaton's parody of a daily strip ("Hack Smith's 'Poppy the President'); Seth Tobocman's woodcut-inspired "Are You Better Off Today Than You Were Four Years Ago?"; Ethan Persoff and Jasun Heurta's "Your Very Own Information Campaign," which is told in a series of "flyers" meant to be easily photocopied and posted on telephone booths, in the subway, etc.; Carol Swain's moody docudrama "Florida 11/7/00"; and Peter Kuper's one-page, Orwellian "Ceci n'est pas une comic." ... Link
Seminartagdiary II: ideen,die früchte tragen
knoerer
12:23h
Aufgewacht, draußen finster, fünf uhr dreiundfünfzig, aufstehen, in die PT-Redaktion. In Moabit dann Morgendämmer, die Laternen werden ausgeschaltet, sieben Uhr zwanzig. Am Mittag in den Zug nach Erfurt, ICE mit Stop in Leipzig. Aristoteles gelesen, Kapitel 6 der Poetik, die Tragödie. In Erfurt angekommen, in die Straßenbahn gestiegen, zur Uni gefahren, aus der Straßenbahn gestiegen, Capuccino getrunken, in den Seminarraum gegangen, sechzehn uhr fünfzehn. Immer noch fünfundvierzig Leute, ich frage, wer in der letzten Woche im Theater gewesen ist, zwei Leute, immerhin. Ich erzähle von meinem Theaterbesuch am Vorabend, Big Art Group aus New York, es ist nicht leicht zu beschreiben, was ich gesehen habe: Drei Leinwände auf der Bühne, drei Jungs an Laptops zwischen Publikum und Bühne. Ich gestikuliere mit den Händen, die Leinwände, die Personen, die sich auf der Leinwand umarmen, nicht auf der Bühne. Erstaunte Gesichter, aber sie hören zu, scheint mir. Wir sprechen über Aristoteles, sehr zuhilfe kommt mir, dass wir zwei konkurrierende Übersetzungen haben, deren eine Mimesis als Nachahmung wiedergibt, die andere aber als Darstellung. Damit kann man neunzig Minuten im Grunde bestreiten. Ich habe, wie eigentlich immer, kein festes Konzept, keine Aufzeichnungen, weiß nicht, was ich sagen werde. Das ist oft ein wenig riskant und als ich höre, wie ich sage, dass man Mimesis am besten einfach als Künstlichkeit übersetzt, muss ich doch einschreiten und hinzufügen, dass sie das besser nicht als Lehrbuchwissen abbuchen und mitschreiben. Kurze Fragen und Gespräche nach der Stunde. Eine Studentin möchte etwas über Schlingensief machen, einer etwas über den Stellvertreter, das ist so die Bandbreite. Dann in die Straßenbahn, 18 Uhr. In der Straße vor dem Bahnhof in einen Laden der "McPfennig" heißt, dort beinahe einen Band mit Erzählungen von David Foster Wallace für zwei Euro gekauft. Eigentlich aber auf der Suche nach einem Getränk. Neben den Wassern mit Geschmack (ich hasse das) stehen, in der untersten Reihe Säfte, die ich noch nie gesehen habe. Ich greife zu Tymbark Kaktus. Ja, Kaktus. 1,3 Prozent, der Rest ist Wasser, Apfel und Limette. Und kleingedrucktes Zeug natürlich, von dem man lieber nichts wissen will. Auf dem Tetrapak (Tetra-Prisma Aseptic) steht: "Bienvenidos! Ein Kaktus ist stachelig [mit e, EK], aber beim Trinken merken Sie das nicht. Was Sie jedoch merken werden ist, dass sich Kaktus und Limette gegenseitig zu einem wunderbaren Geschmack anstacheln. Genial, oder? Darauf muss nämlich erst mal einer kommen! TYMBARK. Ideen, die Früchte tragen!" Über dem Tymbark-Logo ist ein grüner Bogen. Wenn man den Tetra-Pak umdreht, lächelt der Kaktussaft. Er schmeckt übrigens ungewohnt, nicht weiter definierbar, aber nicht schlecht. Ich trinke ihn aus bis Berlin. Auf dem Bahnsteig. (Ich kann jetzt aber nicht jedes Mal etwas über die Stimme der Zugansagerin schreiben.) Ein Mann fällt mir auf, lang, der grau-beige Anzug etwas schlotterig um den Körper, er starrt und blickt ungeniert auf die Leute, die auf dem Bahnsteig warten, er ist fast eine Figur aus einer ETA-Hoffmann-Erzählung, ein Beamter, denke ich mir, ein Junggeselle in jedem Fall, einer, der am Feierabend Leidenschaften nachgeht, von denen man lieber nichts wissen will. Im Zug dann über den Gang rüber einer, der sich auf seinem Laptop Michael Manns "Collateral" ansieht, ich blicke gelegentlich hin und staune, wieviel langsamer die Zeit des Films vergeht, beim gelegentlichen Hingucken, als sie im Kino verging. Rechts vorne ein älterer Herr, der ein Buch mit arabischen Schriftzeichen liest, vielleicht ein Professor. Rechts hinter mir der ETA-Hoffmann-Typ, er isst einen Döner, es stinkt. Er ist fertig, aber nach ein paar Minuten höre ich ein Summen. Ich blicke mich um, es summt aus ihm heraus. Vor sich, aufgeschlagen, hat er eine Partitur, er sieht, dass ich ihn anblicke, hält kurz inne, dann summt er weiter. Später schläft er ein. Ich lese im Toussaint weiter, da, wo ich letzte Woche aufgehört habe, meine Erfurt-Lektüre, die entsprechende Müdigkeit habe ich auch wieder. Toussaint erzählt Sachen mit einer Genauigkeit, ja Umständlichkeit, dass man denken könnte, es müsse noch etwas daraus folgen, etwas seine Bewandtnis damit haben, aber natürlich weiß man, nein, es ist, was es ist, nichts weiter. Aber dieses nichts weiter steckt in diesen Sätzen in einer Weise, dass man auch denkt, was sollte auch weiter sein, man verabschiedet sich vom Gedanken, dass die Welt voller Bewandtnisse ist, ein Mann, eine Frau, sie trennen sich, sie weint, er stößt ihr mitten auf einer Brücke in Tokio nach einem mittelschweren Erdbeben seinen Finger in ihr Arschloch, sagt aber nicht welchen. In Leipzig steige ich um. Rechts vorne, mit dem Rücken zu mir jetzt ein Mann in meinem Alter, mit nach unten weg fliehendem Gesicht, schwarzer Pullover, den er in die Hose gesteckt hat, darunter ein Hemd mit weißen und schwarzen Streifen, ganz dünnen Streifen, Rillen eher. Er hält etwas in der Hand, das aussieht wie der Ausdruck von einer Computertomografie. Dann stellt er auf das Ausklapptischchen des Vordersitzes einen kleinen Bäckerkartonteller mit zwei Stücken Kuchen, rechteckig, aber eher Torte. Das eine Schwarzwälder-Kirsch-artig, das andere Käsecreme mit Fruchtingelee obendrauf. Er isst davon mit einem kleinen weißen Plastiklöffel. Dann ist er eingeschlafen, vom linken Tortenstück ist noch ein angenagter Rest übrig, ein Turm ohne Schlacht. ... Link
knoerer
10:31h
Ich geb das mal so weiter. Sonntag, den 24., in Wien, bei phil: "Mord und Ratschlag - Geheimtipps, Meisterwerke & Lieblingsbücher der Kriminalliteratur" heißt jene 20 Titel umfassende Leseliste, die uns Ekkehard Knörer zusammengestellt hat. Der Berliner Literaturwissenschafter, Perlentaucher-Autor, jumpcut.de- und crime-corner.de-Gründer sowie Krimi-Missionar ist Sonntag Abend (Beginn: 19 Uhr) bei uns, um eine kurze Einführung in dieses spannende Genre, sowie ein paar Lieblingsstellen aus seiner Leseliste, deren Titel in Hinkunft immer bei uns lagernd sein werden, zum Besten zu geben. Eine Anmeldung dafür würde uns freuen, damit wir die Bestuhlung kalkulieren können. ... Link
glühbirne
knoerer
08:38h
So witzig kann bloggen sein! Ja, wahnsinnig witzig. Und vor allem scheint das ja langsam in Mode zu kommen, einfach bei Blogs abzuschreiben. Hier, bei Focus, gibt's nicht mal den Link zum Blog, bei dem man geklaut hat. ... Link Dienstag, 19. Oktober 2004
mensch münster
knoerer
18:42h
Münster ist die lebenswerteste Stadt der Welt (Kategorie 200.000 - 750.000). Öhm, ja, machte schon einen netten Eindruck, neulich, im Frühjahr. Und Gruß an die Freunde von da, jetzt sind aber wir mal zum Essen eingeladen, nicht wahr, zur westfälisch schwungvollen Feier des Lebens im Berliner Exil. [q] ... Link ... Nächste Seite
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morgigen FAZ: Zum Artikel "Hans Imhoff - Meister über die...
by knoerer (17.02.09, 19:11)
live forever The loving God
who lavished such gifts on this faithful artist now takes...
by knoerer (05.02.09, 07:39)
gottesprogramm "und der Zauber seiner
eleganten Sprache, die noch die vulgärsten Einzelheiten leiblicher Existenz mit...
by knoerer (28.01.09, 11:57)
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