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Samstag, 13. März 2004
knoerer
14:04h
Williamsburg ist der erste Stop in Brooklyn, am East River gelegen, die Skyline Manhattans gruesst am Ufer. Es ist kein historisches Viertel, keine Brownstones, die Haeuser sind wie zufaellig, windschief aneinander gereiht, viele Lagerhallen, schlechte Strassen. Die Lebensader ist die Bedford Avenue, hier herrscht das schoenste Durcheinander. Die Metzgereien sind polnisch wie die Vergangenheit Williamsburg, gerauecherte Wuerste in den Fenstern. Die Delis sind unglamouroes wie andernorts auch. Dann aber Cafes wie das Read, mit zerlesenen Buechern und Zeitschriften an den Waenden, das koennte man so oder so aehnlich auch im Prenzlauer Berg finden. Eine Menge Studenten leben hier, noch kann man sich das leisten, noch gibt es wirklich heruntergekommene, schmutzige, zugige Ecken. Eine kleine Mall, mit Second Hand Bookshop und einem weiteren Cafe und Anlaufstellen verschiedener Art fuer die Community. Was aber mehr wird: teure Laeden, edle Ausstattung. Williamsburg ist auf dem aufsteigenden Ast, ein paar Jahre schon. Alte Lagerhaeuser werden aufwendig renoviert, Werbetafeln bieten Wohnungen mit allem Komfort. Das ist die Zukunft Williamsburgs, jedenfalls ein Teil von ihr, das Gentrifizierte neben dem Schaebigen. Gestern war die lange Nacht der Galerien von Williamsburg, Busladungen von Kuratoren werden hier ausgekippt, die Stadt ist gerade voller Kunstinteressierter, an diesem Wochenende eroeffnet die Whitney-Biennale, auf der die junge amerikanische Kunst vorgestellt wird. Und es ist das Wochenende der Armory-Show, einer der groessten Kunstmessen der Welt. Am Vorabend die andere Szene, kleine Galerien, Off-Chelsea. Wir streunen am fruehen Nachmittag durchs Viertel, Ruhe vor dem Sturm, die Galeriebesitzer voller aufgeregter Vorfreude. Es ist windig, kalt, noch ist gar nichts los. Ein paar der Kuenstler sind schon da, man kann ins Gespraech kommen ohne Gedraenge. Viele Sachen sind nicht schlecht, nicht schlechter jedenfalls als das, was man in Chelsea sieht. Aber es ist anders. Diese Nacht ist etwas Besonderes. Natuerlich ist Williamsburg hip, immer noch, aber das Geld ist noch nicht da. Nicht wirklich und die Galerien wollen natuerlich verkaufen. Wir sind um sechs wieder gegangen, in den L-Train gestiegen, schon eine Station weiter, beim Umstieg in den G-Train, ist von der bunten, studentischen Williamsburg-Mischung nichts mehr uebrig. Es ist immer noch sehr kalt, am U-Bahn-Eingang zum L-Train haben sie Plaene verteilt, auf denen alle 29 Galerien verzeichnet sind. Eine grosse Nacht fuer Williamsburg. ... Link Freitag, 12. März 2004
hurts so good
knoerer
13:01h
Diesmal nach Osten. Oede Vorstadtbrache zunaechst, die Hunde werden fetter und haesslicher - viele Hunde hier, fast wie in Friedrichshain. Ueberhaupt liesse sich ueber eine Stadtteilsoziologie New Yorks anhand der Hunde nachdenken. Im Zehnerstrauss von Dienstboten ausgefuehrte Pudel und Pinscher in der Upper Eastside, verstrubbelte Buersten in Greenwich Village. Hier jetzt vorwiegend die auf den ersten Blick wenig charmante Sorte. Ein Kanal, der sich in den Weg legt, eine blau gestrichene Bruecke darueber. Ein junger Mann mit einem Stativ auf der Schulter kommt mir entgegen in der gleissenden Sonne. Schritt fuer Schritt aendert sich gleich darauf die Gegend, wird urban, Brownstones, die Strassenschilder faerben sich von gruen nach braun: Historic District, heisst das. Park Slope. Kleine Delis, Grocery Stores, ich komme an Annie's Garden vorbei, ein Schild erklaert: Von Annie, die hier lebte, in jahrzehntelanger Arbeit einer Brache abgewonnener Garten. Sehr charmant, Wege, Straeucher, aber der Zugang ist versperrt. Daneben ein Schild verblichen in einem Fenster, schwarz auf rot, der Raum dahinter leer: Hurts so good. Stop it again. Quit it some more. Pull it out deeper. Vor den Tueren fensterloser Gebauede Maenner in Arbeitskleidung. Rauchend. Ein paar Schritte auf den Gehsteig oder in die Tuer geklemmt, fuenf Minuten draussen, dann gehen sie wiede hinein in die fensterlosen Gebaeude. Dumpf und sanft, mit sieben Sekunden Abstand (ich habe irgendwann gezaehlt), eine Kirchenglocke. Sie hoert nicht mehr auf, es ist elf Uhr morgens, aber sie schlaegt immer weiter. Ich naehere mich, sehe grosse schwarze Limousinen vor der Kirche stehen. Ein Leichenwagen, Menschen in schwarzer Kleidung, ein Trauergottesdienst, der gerade zu Ende ist. Von einem Moment auf dem anderen beginnen die Frauen, vor dem Portal verstreut, wie sie sind, zu singen. Etwas mit corazon, ein kurzes Aufflackern nur, dann ist es wieder vorbei. Ich gehe weiter, die Glocke schlaegt noch immer, dumpf und sanft. Riesengrosser Triumphbogen auf der Grand Army Plaza, Soldaten im in Metall gegossenen Gruppenbild, aufgepflanzte Bajonette. Am Eingang zum Prospect Park. Auf einem Schild steht: Long before movies, Olmsted and Vaux created, frame by frame, a sense of mystery and expectation drawing visitors to the next 'mystery'. Darunter ist zu lesen: Gatherings of more than 20 people require a permit. Call 965/8969 at least one month in advance. Ehe ich den Park betrete, der leer ist, nur Jogger und Skater auf vorgeschriebenen Wegen, mache ich noch einen Abstecher zur Brooklyn Public Library, die geldspeicherhaft dem ihr gegenueber liegenden martialischen Triumphbogen trotzt. In der Fiction-Abteilung gleich rechts die neu erworbenen deutschen Titel in der ersten Reihe, darunter arabisch: Steffen Kopetzky: Grand Tour darunter und Frank Schulz: Morbus Fonticuli (wollte ich doch lesen; aber nicht hier, nicht jetzt). Im eigentlichen Deutsch-Regal, das nicht sehr umfangreich ist, stehen nebeneinander: Jochen Schmidt: Mueller hat es raus, Jean Paul: Dr. Katzenbergers Badereise, Victoria Holt: Die geheime Frau. Ansonsten reihenweise bunte chinesische Buecher mit attraktiven jungen Frauen auf den Buchruecken und Rueckseiten und an der Wand Lokalpatriotismus. Gerahmte Fotos von Brooklyner Schriftstellern, von Walt Whitman ueber Paul Auster bis Jonathan Lethem. Der Park erinnert, wie sollte er nicht, an den Central Park, aber ich bin ein wenig enttaeuscht von der Inszenierung. Ein Park-Movie habe ich mir etwas anders vorgestellt. Vielleicht aber liegt es nur daran, dass alles noch winterlich kahl ist. Parks ohne Gruen sind nicht the real thing. Am Suedende dann ist die Eislaufbahn im Freien geoeffnet, zwei Tage noch, dann ist offiziell Fruehling in New York. Das sich anschliessende Viertel ist schwarz und hispanisch gepraegt. Und arm, denn bei McDonalds kostet der Double Cheeseburger nur einen Dollar. Sonst ueberall: eins fuenfzig. Ich gehe den Prospect Park an der Westseite zurueck, auf einer Bank liegt ein Mann in der Sonne, grosser Hund neben ihm, wohlhabendere Gegend anzeigend. Der Mann hebt kurz den Kopf und blickt ueber die Strasse auf ein kleines Haus im Schatten. Daran gross das Schild: Beware of the dog. Ich frage mich, ob es sein Haus ist, ob er nur mal kurz rueber ueber die Strasse ist, die Sonne geniessen und sehen will, ob mit seinem Haus, vielleicht zehn Meter entfernt, noch alles in Ordnung ist. Abends im Anthology Film Archive, von Jonas Mekas gegruendete Film-Institution. New York Underground Film Festival. Die Gaenge voller Nerds mit Strickmuetzen. Wir haben uns fuers Experimentalfilmprogramm entschieden, eine auf sieben Minuten kondensierte Fassung von Robert Wises Sci-Fi-Klassiker 'The Andromeda Strain'. Das flackert, rhyhmisiert und in Ueberlagerungen und Ueberblendungen strukturiert vorbei, erinnert eher an Martin Arnold als an Fast-Forward-Video. Dann etwas Oesterreichisches mit Split Screen und Filmresten, das sich ohne Information ueber das Prinzip nicht erschliesst. Zum Abschluss ein Remake von Michael Snows 'Wavelength', in 3D. Folgsam setzen wir die Brillen auf, rot ueber das linke Auge. Der von Yoko Ono gestiftete big ass motherfucker Fernseher wird reingerollt. Die Kamera beginnt zu zoomen, der Kuenstler ist anwesend und spricht dem Auditorium - fast ausverkauft, aber der Saal ist klein - Mut zu. Muss er gar nicht, gute Erfahrung, jedenfalls fuer einen immer noch leicht jetlag-Geschaedigten, der seine Sinne um diese Uhrzeit nicht mehr recht beisammen hat. Das ist so art school, sagt S. Wir lassen die Nerds mit Strickmuetzen hinter uns, steigen in den F-train, der uns vor unserer Haustuer absetzt. Ins Bett fallen, schlafen. ... Link Donnerstag, 11. März 2004
knoerer
11:55h
Dean and Deluca Aus Glas, die offene Vorderfront dem Columbus Circle zugewandt und der Suedseite des Central Park: Das neue Time Warner Center. In den unteren Geschossen Laeden der gehobenen Gueteklasse, das erinnert an das World Trade Center, die Rolltreppe in die Untergeschosse, der Durchgangsverkehr. Im ersten Stock ein Borders-Buchladen. Waehrend Barnes & Noble sich mit Starbucks verbuendet hat, kooperiert Borders mit der New Yorker Cafekette Dean and Deluca. Es ist kurz nach eins. Der billigste Cafe kostet 1 Dollar 50, bei Starbucks sind es eins fuenfundfuenfzig. Schraeg vor mir eine Frau Mitte 30, ein junger Schwarzer, rote Gummihandschuhe haengen aus der linken hinteren Hosentasche. Sie spricht, er hoert zu. Sie traegt einen schwarzen Anzug, er traegt sehr informelle Kleidung: einen Pullover, dann die Gummihandschuhe. Sie ist verbindlich, in ihrer Stimme inszenierte Nachdruecklichkeit. Sie hat einen Stift in der Hand, aber keinen Zettel vor sich, einen grossen Kaffee, eine Serviette. Als der Mann weg ist, blickt sie ins Leere. Schraeg links von mir eine Frau Mitte 50, lange blondierte Haare, das Handy in der Linken, vor sich eine aufgeschlagene Zeitung. Sie telefoniert und haelt sich dabei die rechte Hand vor Mund und Handy. Man versteht trotzdem, was sie sagt. Hi George, it's me. Sie geht, sie laesst die Zeitung liegen. Die andere Frau sitzt jetzt allein am Tisch, starrt leer ins Leere, spielt mit dem Stift und der Serviette, trinkt nicht von ihrem Kaffee. Dann taucht eine junge Schwarze auf, setzt sich zu ihr an den Tisch. Wieder spricht die Frau, wieder ist sie verbindlich, wieder schweigt ihr Gegenueber. Ich stehe auf, streune ein wenig durch den Borders, mache ein Foto hinaus durch die Glasfront auf den Columbus Circle, dann gehe ich, von Norden kommend, weiter nach Sueden. Cardiff and Miller Im Westen von Chelsea, jenseits der 10th Avenue, gibt es dreierlei: Riesige Storage-Gebaeude, die, kaum noch verputzt, mit ueberdimensionierten Werbetafeln, herumstehen wie nie ausgepackte Kisten. Eine Auto-Werkstatt neben der anderen, Taxis auf hydraulischen Saeulen. Und die Galerien, in der 20. bis 24. Strasse, hinter jeder Tuer, die man oeffnet: Kunst. Uebergrosse Fotos, digital bearbeitet, von Thomas Demand, Baeume, Wald (vor einer solchen Wald-Tafel habe ich zuletzt auf dem Expo-Gelaende der Biennale in Venedig ein Broetchen verspeist). Erhabenheitsgemaelde, Fotos nachempfunden, von Robert Longo: Ein Blitz, der einschlaegt, eine Lichterscheinung. Vulkanausbrueche. In der 24. Strasse vier neue Werke des Duos Cardiff and Miller. Ein Koffer, aus dem ein Grammofontrichter waechst. Eine Bild-Sound-Installation: The Berlin Files. Tiefschwarz der Raum, zwoelf Lautsprecher, ich gerate in eine Kamerafahrt durch eine grosse Berliner Altbauwohnung. Klaviermusik. Durch einen Tuerspalt sieht man einen Klavierspieler. Die Kamera bewegt sich nicht durch diese Tuer, naehert sich von einer anderen Seite. Dann aber braust ein Orchester los, der Mann am Klavier hat die Haende im Schoss, spielt dann bei den gelegentlichen Einsaetzen seines Instruments. Die Kamera faehrt heran, im Schwarz des Klaviers spiegelt sich der Umriss einer Figur, die sich naehert. Schwarzblende. Die Orchestermusik braust auf, immer kakophonischer, bedrohlicher, steigert sich zu einem Hitchcockschen Hoehepunkt. Das Bild bleibt schwarz. Schnitt, eine Autofahrt, Schnee. Weissblende. Schnitt, ein weisses Feld, einer rennt von rechts vorne nach links hinten durch den Schnee. Weissblende. Anschwellende Geraeusche, Helikopter, Dramatik. Nicht ist zu sehen. Dann Wasser, darin treibendes Eis, ein Mann erzaehlt, wie er als Kind einmal beinahe ertrunken waere. Dann eine blonde Frau im Bett: You would have ruined my life. Sie lacht. Dann eine Bar, ein Mann singt, wie Karaoke, Rock'n'Roll Suicide. Dann loopt das Band, ohne Markierung, wieder an den Anfang, der so kein Anfang war, sondern nur ein zufaelliges Hineingeraten in eine Geschichte, die keine ist, aber eine zu sein scheint. ... Link Mittwoch, 10. März 2004
knoerer
11:34h
"Not since nineeleven", sagt einer, ich hoere es nur im Voruebergehen, Barnes and Nobles, Broadway und 10., aber worum es geht, verstehe ich nicht mehr. Ein Basketballfeld auf dem kleinen, sehr gepflegten Platz hier um die Ecke ist einem Feuerwehrmann gewidmet, ein Gedenkstein, Fahnen, Blumen, ein Foto weisen darauf hin. Jedes zweite Haus hier ist mit den Stars and Stripes beflaggt: gross im Garten, klein im Fenster. Sogar ein Hydrant ist in den Farben der Flagge angemalt worden, das sieht huebsch aus, ein bisschen wie im Maerchenland. All die Flaggen sind eingerissen, von Staub und Abgasen verdreckt, keine einzige ist ersetzt worden oder nachtraeglich aufgepflanzt. Das ist schwer zu deuten, scheint mir: geht es um ein Erinnern, das in der Erneuerung des Erinnerungszeichens verfaelscht wuerde oder ist es einfach egal. Vor dem Fenster gerade der F- oder G-Train, der auf Stelzen aus der Tiefe Brooklyns kommt und hier bei uns unter der Erde verschwindet. Auch den East River quert er unterirdisch. Ich hatte nicht damit gerechnet, gestern, als ich das erste Mal nach Manhattan hinueberfuhr (es gibt eine andere Linie, die ueber die Bruecke faehrt, da sieht man das Wasser). Dabei wollte ich, beim Anblick des Flusses, an Spalding Gray denken, den man vor wenigen Tagen hier aus dem East River fischte, nachdem er sich vor zwei Monaten von der Staten Island Ferry gestuerzt hatte. Aber das waere doch arg pathetisch gewesen. Das noch: Ein Auto, das abgeschleppt wurde und das ganze Alarmanlagenprogramm abspulte. Nicht mehr damit aufhoerte, am Haken haengend, die ganze Strasse runter. Noch nicht im Kino gewesen. ... Link Sonntag, 7. März 2004
note to self
knoerer
16:30h
Wie ich neulich irgendwo las - note to self: bin unterwegs. Mehr demnächst. ... Link Samstag, 6. März 2004
wc-sitz
knoerer
16:12h
Der Mann, der da eben, den WC-Sitz unter dem Arm, bei Rot über die Kreuzung rannte, um noch rechtzeitig zur Bundesliga-Halbzeitkonferenz zu kommen --- das war ich. ... Link
selbstporträts
knoerer
12:58h
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by knoerer (28.01.09, 11:57)
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