Freitag, 17. Februar 2006
hinweis

Kurzer Hinweis auf einen Text zu Amir Muhammads klugem Film "The Last Communist" in der taz.

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Donnerstag, 16. Februar 2006
Sidney Lumet: Pleading Guilty (USA 2006, Wettbewerb)

Manchmal versuche ich, mir die Entscheidungsfindungsprozesse für den Berlinale-Wettbewerb vorzustellen. Der folgende – rein fiktive - Dialog wird geführt zwischen einem Mann mit Filmsachverstand und einem, dem das Kino als Kunst völlig am Arsch vorbei geht, der nichts als Proporzerwägungen der unterschiedlichsten Art im Kopf hat. Ich nenne den einen T., den anderen K. Das Gespräch nach der Sichtung von Sidney Lumets "Pleading Guilty" ging, denke ich mir, ungefähr so:

T: Puh. Ich wusste gar nicht, dass Sidney Lumet überhaupt noch Filme macht. Hätte er wohl besser auch bleiben gelassen.

K: Ich mag ihn.

T: Was?

K: Ich mag den Film. Das ist ein Hollywoodfilm, wir haben zu wenige Hollywoodfilme.

T: Das ist kein Hollywoodfilm; da steht kein Studio dahinter, hast du die Credits gesehen. Vermutlich stupid German money. Und dümmer wird's nicht.

K: Hey, ich mag ihn. Dieser Vin Diesel, das ist doch ein Star?

T: In Actionfilmen.

K: Ein Star!

T: Auf dem absteigenden Ast. Und er ist furchtbar. Der ist doch kein Schauspieler, ich konnte kaum hinsehen.

K: Schauspieler Schmauspieler. Ein Star für die Jungen, dazu ein Regie-Altmeister...

T: Auf dem absteigenden Ast. Freundlich gesagt. Das ist, wenn du mich fragst, eine Straight-to-Video-Produktion.

K: Ach was. Straight in den Wettbewerb. Sowas interessiert die Leute. Und die ganzen wichtigen politischen Filme, die wir haben...

T: ...über dieses Fernsehpamphlet von dem Winterbottom sollten wir auch noch mal reden...

K: ...bei diesen ganzen wichtigen Filmen – natürlich sind die wichtiger, das ist doch klar -, da muss auch was Leichteres sein. Was fürs Herz, sag ich mal, was zum Mitfiebern. Und außerdem, das wissen wir doch. Die Leute kommen doch nicht nach Berlin, um Filmkunst zu sehen. Die wollen was zum Nachdenken, die wollen Politik. Dafür werde ich doch gefeiert. Der Wowi hat neulich erst...

T: Aber K. Hast du denn nicht gesehen, was der da macht? Der feiert diese Figur, ein vulgäres Mafia-Arschloch, und zwar dafür, dass er für seine miese Ganovenehre eintritt.

K: Ich finde, Ehre ist ein wichtiges Thema. War da nicht was in den Zeitungen, letztes Jahr? Wie hieß das noch? Ehrenmord? Ja, das war's. Worum ging's da noch mal?

T: Du bringst wieder alles durcheinander. Hier geht's um Ganovenehre. Dieser Typ sagt nicht aus, und deshalb kommen diese ganzen Mafia-Ärsche frei. Und der Film feiert das. Wer sowas verbricht, der hat sie doch nicht alle. Das kann man nur mit Senilität erklären, fürchte ich.

K: Blödsinn. Das ist doch alles prima. Gibt Zündstoff, gibt Diskussionen. Was will man mehr?

T: Und der Film ist handwerklich einfach schlecht. Ein Desaster, genauer gesagt.

K: Blödsinn, das kann gar nicht sein. Lumet hat letztes Jahr doch sogar den Ehren-Oscar bekommen. Der ist ein wichtiger Regisseur.

T: Der war mal sehr gut, ein Handwerker mit Botschaften...

K: Großartig! Botschaften!

T: Aber das ist zutiefst reaktionär hier! Und schlecht!

K: Reaktionär sagt der eine, revolutionär der andere. Da gehen die Meinungen schnell auseinander.

T: Aber nicht hier! Das ist Müll, das ist Schrott. Und man sollte das Lumet nicht antun, manchmal muss man Leute auch vor sich selbst schützen.

K: Den Richter fand ich aber toll.

T: Ja, der Richter ist sehr gut.

K: Na, siehst du. Und der Kleine, der ist auch gut.

T: Meinetwegen. Trotzdem funktioniert der Film hinten und vorne nicht. Er ist nicht an dem Fall interessiert, er ist nicht an der Mafia interessiert, er ist nicht am Gericht interessiert. Langweilig ist er auch, umständlich, diese ganzen Familienszenen, die Frau, die ihn im Gefängnis besucht. Das ist Klischee und dumm und funktioniert nicht.

K: Du wiederholst dich...

T: Und es ist widerlich reaktionär...

K: Ich sagte schon, du wiederholst dich. Sonst noch Einwände?

T schweigt betreten.

K: Fein, prima, abgemacht. Der kommt in den Wettbwerb. Sidney Lumet, und der, wie heißt er noch, Diesel. Das passt doch einfach alles.

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Claude Chabrol: L'Ivresse du pouvoir (Frankreich 2006, Wettbewerb)

Man nennt sie Piranha, sagt einer, ein Schnitt und im nächsten Bild sehen wir ein Aquarium mit Zierfischen. Davor sitzt die Untersuchungsrichterin Jeanne Charmant-Killman (Isabelle Huppert), soeben als Piranha tituliert. Sehr zu recht, das wird sich zeigen. Aber Moment, werden Sie fragen, dieser Name, Charmant-Killman, meint Chabrol das denn Ernst?

Ja. Nein. Wie man es nimmt. Es gibt noch den Anwalt Parlebas und den CEO Sibaud. Ernst im Sinne von strikt literal meint Chabrol das gewiss nicht; das Schauspiel, die Szene, wird vielmehr punktiert durch den in sie auf diese Weise - und oft durch die Musik - eingelassenen Kommentar. Über politthrillerhafte Mimesis ans Wirkliche ist Chabrol ebenso erhaben wie über Genre-Klischees. Er kommt den Tatsachen stattdessen mit Ironie. Das alles beruht sehr wohl auf tatsächlichen Begebenheiten. Und darum, sagt eine Schrifttafel ganz zu Beginn, sei jede Ähnlichkeit dazu, "wie man so sagt", reiner Zufall. Dann zeigt der Vorspann, während die Namen diverser Chabrols in unterschiedlichen Funktionen eingeblendet werden, einen Boss, der verhaftet wird und ins Gefängnis gebracht. Er muss sich dort ausziehen, er lässt die Hosen runter. Schwarzblende. Dann der letzte Schriftzug des Vorspanns: Regie Claude Chabrol.

Für keinen bösen Scherz ist er sich zu schade, auch an Sarkasmus mangelt es nicht. Aber mit dem in der Sache blutigen Ernst und den scharfen Zähnen, die Piranhas eigen sind, fräst Chabrol sich durch diese Geschichte. Vielmehr lässt er seine Heldin sich fräsen, die mit knallhartem Charme keine Gnade kennt. Und zwar mit den Männern. Eine bitterböse Abrechnung nämlich ist "L'Ivresse du pouvoir" vor allem mit den Old Boys und Granden, mit den männlichen Bossen in Wirtschaft und Politik. Auch mit dem Schwächling zu Hause, der es, aus bester Familie, nicht erträgt, im Schatten seiner Frau zu stehen. (Es ist wirklich keineswegs so, dass hier das Klischee von den privaten Opfern der in der Öffentlichkeit erfolgreichen Frau bedient würde. Ihr Mann ist ein Schwächling, nichts weiter. Er wird durch seinen Neffen, der auch Chorfunktion hat, einfach ersetzt.)

In der Darstellung der allgemein korrupten Verhältnisse geht es Chabrol nicht um naturalistische Genauigkeit im Detail. Vielmehr inszeniert er durchweg analytisch. Seziert das Verhalten jener, die im Innern von Geld und Macht zwischen Recht und Unrecht nicht mehr unterscheiden. Szene für Szene kommt Eingemachtes frisch auf den Tisch. So ist "L'Ivresse du pouvoir" ein Genrefilm ohne die mindeste Konzession an die Konvention. Der Ironie der sprechenden Namen korrespondiert eine Übergenauigkeit im Arrangement von Räumen, Gegenständen, Figuren.

Die Mise-en-scène nimmt sich sehr zurück - und es ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Vielmehr ist die Regie in einer jeden Szene auf unheimliche Weise von beinahe totaler Präsenz, geht ein in die Gesten, die Worte, die Betonung von Silben, den Lichtfall, die Berührung der Körper. Der Rhythmus des Films, das Timing der Schnitte, der Geist der Montagen zeugen vom Können eines alten Meisters auf der Höhe seiner Kunst.

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rückverlinkung

Man hat mich um Rückverlinkung gebeten, mach ich gerne, denn was bei festivalblog zur Berlinale zu lesen ist, ist den Klick wert. (Wobei einem die von malorama sehr zu recht beklagte Unsitte der Textunterbrechung mit Linkgebot leider auch da sehr auf die Nerven fällt.)

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Pang Ho-cheung: Isabella (Hongkong, China 2006, Wettbewerb)

Der korrupte Cop Ma (Chapman To) ist ein Typ, der wild in der Gegend rumvögelt. Eines Tages kommt was aus der Gegend zurück. Sie heißt Yan (Isabella Leong), sie ist jung, sie ist schön, sie ist seine Tochter, sagt sie, und schlägt ihm eine Bierflasche über den Kopf. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Ort und Zeit der Geschichte eines Vaters, der eine Tochter findet und einer Tochter, die einen Hund namens Isabella verloren hat, sind ein wenig überdeterminiert. Es ist 1999, das Jahr vor der Rückgabe der portugiesischen Kolonie Macao an China. Bei Portugiesen isst man nicht, sagt einer von Mas Spitzeln, es liegen Abschied und Trauer in der Luft. Beinahe unaufhörlich spielt die stark portugiesisch angehauchte Wehmutsmusik dazu. Fado in Macao.

Regisseur Pang Ho-cheung gilt seit seinem virtuosen, wenn auch ein wenig angeberischen Debüt „You Shoot, I Shoot“ (2001) als Hoffnung für das Kino Hongkongs. Er ist zudem der Autor eines Roman-Bestsellers, den Johnnie To als „Fulltime Killer“ – vor ein paar Jahren auch auf der Berlinale zu sehen – verfilmt hat. Was Pang Ho-cheung alles kann, sieht man seinem Wettbewerbs-Film „Isabella“ wohl an. Das rechte Maß für den Einsatz seiner Mittel hat er freilich noch nicht gefunden. So bietet „Isabella“ viele schöne Bilder, aber auch viel zu viele zu schöne.

Wunderbar eine Szene, in der Yan und Ma ihre Habe in großen Taschen und rhythmisch synchron durchs Macao bei Nacht transportieren. Auch sonst leuchten die Gassen und Küchen, die Treppen und Wände in pittoreskem Schummer, aber das macht noch keinen Wong Kar-wei. Zudem hat die von Charlie Lam geführte Kamera den unseligen Hang, die effektbewusste Perspektive der effektiven vorzuziehen und filmt aus dem Kühlschrank, aus einem Ofen durch züngelnde Flammen und immer wieder auch von genau da, wo eigentlich die Wand hinter Sofa sein müsste.

Zwischen Verfolgung von Korruption und Rückblenden in private Vergangenheiten streut Pang in grüner Schrift auf schwarzem Grund einen Countdown zur Übergabe Macaos. Der Zusammenhang zwischen Privatem und Politischen bleibt insgesamt dennoch Behauptung. So ist „Isabella“ zwar von Anfang bis Ende sympathisch, bald aber nur noch eine Stilübung in melancholischer Manier. Ein bisschen langweilig, aber gepflegt. Ein bisschen oberflächlich, aber mordsmäßig elegant.

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Mani Haghighi: Men at Work (Iran 2006, Forum)

"Männer bei der Arbeit", so sieht das aus: Sie, das sind vier offenbar eher wohlhabende Männer so um die fünfzig, kommen zurück vom Skifahren, erzählen sich Geschichten von indischen Fahrern, Geschichten vom Pinkeln. Einer entdeckt, im Knie einer Serpentine in den Bergen, einen Felsen, hinter dem sich prima austreten lässt. Er ruft die anderen, der Fels, der einsam und steil in die Luft ragt, fasziniert sie. Was Männer zur Arbeit animiert, so sieht es aus, sind Dinge, die wegmüssen. Die vier Männer fassen den Plan, nicht weniger als komplett meschugge, den Felsen gen Tal zu stürzen. Sie packen an, das Ding lässt sich nicht erweichen. Durch ihrer bloßen Körper Kraft nicht und nicht mit Hilfe eines Esels, der auftaucht, nicht mit dem Auto. Der Felsen bleibt obstinat.

Und opak. Symbolisch lesbar wird er erfreulicherweise nicht. Der Film "Men et Work" arbeitet keineswegs an seiner metaphorischen Aufladung, allen Interpretationsversuchen widersetzt sich dieser Brocken aus Stein ebenso wie den Bemühungen der Helden um seine Beseitigung. Er ragt und ragt und hat nichts zu sagen. Jedoch wirkt er als absurder Attraktor. Die ganze iranische Gesellschaft nämlich, könnte man etwas übertreibend behaupten, schaut im Laufe des Films mal vorbei. Ein Auto und noch so eins, aus einem dringt laute Musik, "California Dreaming". Man kennt sich, mit Realismus hat das, das versteht man recht bald, nicht viel zu tutn. Sehr wohl verhandelt wird aber dennoch und gerade in der komischen Verfremdung der haarsträubenden Zufallsbegegnungen der Stand der Dinge im Verhältnis der Geschlechter; die Jungs machen, vorsichtig gesagt, keine gute Figur. Und wann hat man zuletzt im iranischen Kino eine Frau gesehen, die lustvoll eine Kettensäge schwingt.

Einer der Männer wird angesichts des Widerstandsfelsens beinahe verrückt. Ein anderer verletzt sich beim Versuch, ihn zu stürzen, am Knie. Einer muss nebenbei den Streit mit seiner sehr viel jüngeren Frau beilegen. Einander kennen die Helden seit langem. Übers Leben in der besseren iranischen Gesellschaft erfährt man in ihren das Deftige nicht scheuenden Gesprächen ganz nebenbei eine Menge. Die vier erscheinen als wehleidig und infantil. "Men at Work" rückt ihnen zu Leibe und schildert sie in einer Mischung aus Kritik und dann doch Sympathie. Sie sind wie die Kinder, sie wollen nur spielen und zeigen sich dann vom Felsen in ihrer Ehre gekränkt.

Nicht zuletzt ist "Men at Work" eine oft komische Übung in furchtlosem Absurdismus. Das Nirgendwo in den Bergen bleibt ständig geerdet in der entstehenden Kartografie zwischenmenschlicher Beziehungen, die am Felsen am Berg, im Knie der Serpentine, ihren Austrag finden. Das Drehbuch basiert auf einer Idee von Abbas Kiarostami, an dessen Werk man eines im Westen immer schon gern übersah: den Hang zur Komik, die sich der genauesten Beobachtung keineswegs ausschließlich iranischer Absurditäten verdankt.

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Mittwoch, 15. Februar 2006
text im bild

Verblüffende Idee, comicnah (nur gerade gelesen, gar nicht Berlinale-related): "Untertitel" einfach ins Bild einfügen:

The result is subs that come and go as characters speak. They sometimes appear in different places on the screen, most strikingly when a character is hurled across a kitchen and his shouts of "No!" and "Stop!" explode across the screen like impact marks in a comic book. The words of a curse appear in red and disappear in puffs of digital mist.[q]

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