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Mittwoch, 15. Februar 2006
gesehen
knoerer
14:29h
Ich habe dreimal Sabine Timoteo gesehen, die im richtigen Leben fast zerbrechlich wirkt. Einmal auf dem Podium der Pressekonferenz, zweimal auf den Gängen. Immer trug sie eine weiße Bluse. Ich habe einmal Detlev Buck gesehen, auf der Treppe des Berlinale-Palasts, auf dem Weg hinaus bei einer Pressevorführung. Er hatte einen ziemlich großen braunen Koffer in der Hand, angestoßen, zerschrammt. Ich habe heute Dieter Kosslick gesehen. Er hatte einen Hut auf dem Kopf. ... Link
Patrick Carpentier: Combat (Belgien 2006, Forum)
knoerer
14:21h
Manchen Filmen sieht man vor allem an, was ihr Regisseur so alles gesehen hat. Bei Patrick Carpentiers "Combat" wären das: "Gerry" - "La Vie Nouvelle" - "Blissfully Yours". Eventuell das eine oder andere von Claire Denis. Vielleicht täusche ich mich, vielleicht sind das gar keine Einflüsse, vielleicht ist es nur, wie der Regisseur selber, im Katalog zitiert, sagt: "Ein kleiner Teil des kollektiven Unbewussten geht in die von mir konstruierte Welt ein." Das kollektive Unbewusste ist visuell wolkenförmig blutrot mitunter, aural macht es Wind und Gewitter wie in "La Vie Nouvelle", wo das bei allen Vorbehalten sehr viel mehr überzeugt. Zwei Männer fahren mit dem Auto in einen Wald. Zwei Männer wie in "Gerry", wo das sehr viel mehr überzeugt, der Wald und das Baden, die Waschung im Fluss wie in "Blissfully Yours", wo es sehr viel mehr überzeugt. Aus dem Off hören wir eine Voiceover-Stimme, Fragmente eines Diskurses über (schwules) Begehren, die Sehnsucht danach, geschlagen zu werden, Fragmente eines Diskurses über den Beginn und das Ende der Liebe. Dazwischen der Kampf der zwei Männer im Wald, ein Ringen, ein Keuchen. Die Kamera ist sehr nah dran. Dazwischen die Wolken, die am Mond vorüber ziehen. All das hat uns anderswo sehr viel mehr überzeugt. ... Link
Valeska Grisebach: Sehnsucht (D 2006, Wettbewerb)
knoerer
14:02h
Ein Unfall ist geschehen, der Film beginnt. Ein Mann ist vor Ort und bringt mit den Händen des Experten eines der Opfer, das vor ihm liegt, auf die Wiese geschleudert, in stabile Seitenlage. Wir werden den Mann und seine Expertenhände im weiteren sehen, über den Unfall erfahren wir nur noch: Die Frau ist tot, der Mann wird vielleicht leben, vielleicht sterben, es war ein Selbstmordversuch. Der Retter, Markus (Andreas Müller), ist bei der Freiwilligen Feuerwehr, er ist Schlosser. Er lebt in dem brandenburgischen 200-Einwohner-Dorf Zühlen, in dessen unmittelbarer Nähe der Unfall passierte. Markus hat eine Frau, Ella (Ilka Welz) und ein Kind. Er liebt seine Frau, ohne viele Worte zu machen. Er zweifelt, ob es sein Recht war, dem Mann der sterben wollte, das Leben womöglich zu retten. Sonst sehen wir ihm beim Schweigen zu und seinen Händen bei der Arbeit an Schlössern und Gittern. Erst recht keine Worte hat er für das, was ihm widerfährt, aus heiterem Himmel. Mit den Kameraden macht er einen Ausflug zum alljährlichen Feuerwehrtreffen in einem anderen, größeren Ort. Sie feiern, sie trinken, wir sehen Markus versunken im Tanz zu Robbie Williams Musik. Robbie Williams singt: "I just wanna feel real love, Feel the home that I live in." Es folgt ein Schnitt, der harmlos aussieht, aber er ist kühn, sehr kühn, von der lauten Musik auf die Stille des Morgens. Aber Markus erwacht in einem fremden Bett, am Frühstückstisch sitzt eine fremde Frau. Mit ihr hat er die Nacht verbracht, beim Frühstück mit den Kameraden erfährt er ihren Namen: Rose (Anett Dornbusch). Wer weiß, wie teuer die Filmrechte an bekannter Musik sind, ahnt, wie wichtig der Regisseurin Robbie Williams' Song gewesen sein muss. Eine andere Zeile: "Not sure I understand, This role I’ve been given." In der Tat: Markus versteht es nicht. Er liebt seine Frau, er liebt auch Rosa. Das ist die ganze Tragödie. So einfach ist das - und Grisebach inszeniert es, als das, was es ist: eine einfache, eine furchtbar einfache Tragödie. Die Kamera ist ganz nah an den Gesichtern der Figuren. Alle wissen sie nicht, wie ihnen geschieht. Alle verstehen sie nicht, warum ihr Leben aus den Fugen gerät. Sie blicken sich an, als ließe sich im Gesicht des anderen etwas lesen. Und Ella ahnt, dass etwas nicht stimmt, bevor sie es überhaupt wissen kann. Ganz nebenbei, ganz beiläufig begrüßt sie ihn bei seiner Rückkehr mit dem scherzhaft gemeinten Satz: "Hallo, fremder Mann." Dabei ist tatsächlich ein Fremder zurückgekehrt. Sie spürt es und sucht, fast verzweifelt, nach Worten für das Große, das sie fühlt: "Ich begehre dich so", sagt sie, "ich liebe dich". Was soll sie sagen? Es sind irgendwie nicht die richtigen Worte, aber andere Worte hat sie nicht. Sie handhabt sie wie etwas, das sie noch nie gebraucht hat. Valeska Grisebach hat in "Sehnsucht" ausschließlich mit Laien gearbeitet. Was sie mit ihren Darstellerinnen und Darstellern erreicht, macht staunen. Sie spielen keine Rollen, sondern sie führen eine Aneignung vor: Aneignung der Geschichten, die nicht ihre sind, Aneignung von Gefühlen, die sie kennen, wenn auch vielleicht nicht genau so. Aneignung von Worten, die ihnen fremd sind, um die Grisebach sie kämpfen macht. Und obwohl, vielleicht auch: weil diese leichte Unschärfe bleibt, obwohl die Darsteller in den Rollen nie ganz aufgehen, obwohl sie immer wie ein wenig über sich selbst verwundert scheinen, stimmt jeder Ton. Grisebach erzählt eine Tragödie mit Anspielungen auf "Romeo und Julia", auf dem Dorf. Dabei überhöht sie nicht, sondern reduziert. Sie legt im Innersten eines überzeugenden naturalistischen Äußeren eine Geschichte frei, die so konkret wie universal ist. Die als universale nur überzeugt, weil sie so unendlich konkret ist, bis zum Einsatz der Sprühsahne, bis zum wackligen Gesang im Dorfchor. Die Regie, der Schnitt, die Kamera zeugen von einem wunderbaren Rhythmusgefühl. Im rechten Moment gibt es den Trost fürs aufgewühlte Empfinden, Blicke hinaus, auf Natur, auf das Rauschen der Bäume. Und wie jede ordentliche Tragödie hat der Film ein bezauberndes Satyrspiel als Epilog. Die Geschichte und ihr möglicher Ausgang werden spielerisch verhandelt, aus Kindermund kommentiert. Ein großartiger Einfall fürs Ende eines großartigen Films. ... Link
Sabu: Shisso (Japan 2006, Panorama)
knoerer
07:36h
Die Filme Sabus, die ich kenne, leben von ihrer Struktur. Der Zufall spielt entscheidende Rollen als etwas, das Sabus Drehbuch seinen Figuren antut, die an Punkten zusammentreffen, an denen sich ihr Leben arrangiert. "Shisso" ist, das zeigt sich bald, anders. Zwar wird eine scheinbar klare Differenz eingeführt schon im ersten Dialog: Es gibt das Küstenland und das Land vor der Küste, das einst Ozean war und nun gefüllt ist. Die Leute von der Küste verachten die vom Land vor der Küste. Diese Differenz jedoch hat nicht die Kraft, den ganzen Film zu strukturieren, der auf ein komplexes - jedenfalls kompliziertes - Geflecht von Motiven setzt. Sein Held, Shuji, ist entsprechend einer, der, voller Neugier, die Differenz von Anfang an quert; als einer vom Festland kehrt er immer wieder in den über eine lange Straße zu erreichenden Landstrich davor zurück. Und der Film selbst scheint im Verzicht auf festen Boden unter den Füßen sehr bewusst eher auf Wasser als Festland gebaut. Von Shuji erzählt dieser Film, seinem Schicksal, von seiner Neugier auf ein Leben außerhalb der recht engen, von Institutionen der Erziehung vorgesehenen Grenzen. Die Shule wird präsentiert als Ort der Zurichtung durch Lehrer und Mitschüler, die Familie als Brennpunkt der Traumatisierung fürs Leben. Darum geht es um Träume von der Möglichkeit einer Gegenwelt, die aber nicht ohne Gefährdungen eigener Art zu haben ist. So trifft Shuji auf eine andere Außenseiterin, eine Verletzte auch sie, Nanba Eri, deren Eltern Selbstmord begangen haben. Sie geht in die Kirche zu dem Priester, dessen Bruder zum Mörder wurde nicht ohne des Priesters Schuld. "Shisso" verhält sich narrativ seltsam. Es beginnt mir der merkwürdigen Perspektive der Voiceover-Stimme, die den Helden, Shuji, mit einem Du anspricht: Dies Shuji, ist deine Geschichte. Wer spricht, wird ganz klar erst am Ende, das es mit dem Helden genommen haben wird. Was diese Erzählung strukturiert, sind vor allem Motive. Schuld und Tod, Feuer und Wasser, Blut und Verbrechen, das Rennen und das Humpeln. Aber es geht auch um ein Leben im Außenbereich der Gesellschaft, die Solidarität der Außenseiter, mit der es nicht immer weit her ist. Es kommt zu Ellipsen und Sprüngen nach ganzen, nicht so kurzen Weilen flach dahinerzählter Lebenswirklichkeit. In seinen Motiv-Verdopplungen und narrativen Abwegen erscheint manches eher kompliziert als komplex. Am Ende schließt sich ein Kreis, aber Sabus Lust an Punkten großer Verdichtung, von denen der Plot ausgeht, zu denen der Plot zurückkehrt, um dazwischen episodische Wegstrecke zu sein, ist diesmal nicht ausgeprägt. Es ist ihm diesmal auch nicht um Komik zu tun. Der Sabu eigene Lakonismus steht in"Shisso" im Dienst einer durch Wiederholungen, nicht durch schlichte Erklärung, von einem Ereignis zum nächsten treibenden Überstürzungsdramaturgie. Es gibt Verlagerungen, Abbrüche, ein verstörendes Verhältnis von Erklärtem und Unerklärtem, von Ausgebreitetem und nachholendem Vollzug von Geschehenem. In nichts, was geschieht, wird grundsätzlich die Einsicht verweigert, oft jedoch kommt sie zu früh oder zu spät. Es ist weniger die Logik des Traums, die hier herrscht, als die erzählerischer Willkür. Zu heftig scheinen die Eingriffe eines unsichtbaren Erzählers. Seine Verkörperung ist nur die Stimme, die spricht, die das Schicksal als vollendetes präsentiert. Ein solches Erzählen ruft Widerstände hervor. "Shisso" aber scheint sich auch als Arbeit an und mit diesen Widerständen zu verstehen, ja, es kann einem vorkommen, als suche er in seiner Sprunghaftigkeit auf zu erwartende Vorwürfe schon zu reagieren, indem er neu ansetzt, zurückkommt auf angespielte Motive und gelegentlich auch in die Irre führt. "Shisso" ist von den Filmen Sabus, die ich kenne, das am wenigsten geschlossene Werk. Vielleicht ein Befreiungsschlag für den Regisseur, der, so viel steht fest, der Gefahr, auf lakonischen Strukturalismus mit komischen Effekten festgelegt zu werden, mit diesem ambitionierten Film fürs erste entgeht. ... Link
Rafi Pitts: Zemestan (Iran 2006, Wettbewerb)
knoerer
06:59h
Eine Erzählung, ein Lied: Es ist Winter. Ein Mann am Waschbecken, seine Frau, seine Tochter im Haus, das sie sich geleistet haben. Jetzt bräuchten sie das Geld. Das Haus ist ein hässlich ins Nirgendwo gesetzter Betonbrocken mit flachem Dach, aber es ist ein Haus. Der Mann aber verlässt es, bricht auf, will Geld verdienen im Ausland. Er geht davon. Ein anderer ist angekommen, sein Name, sagt er, ist Marhab und das heißt "Willkommen", bald findet er einen Freund. "Willkommen" ist Marhab nicht in dieser Gegend im Winter. Der Freund verhilft ihm zu einem Job, der ein Scheißjob ist. Der Ankömmling widerspricht dem Chef, er sitzt herum und raucht, er bekommt kein Geld. Der Freund leiht ihm welches, Marhab investiert in einen Teppich und schenkt ihn der Frau in dem Haus, auf die er ein Auge geworfen hat. Sie hat inzwischen die Nachricht erhalten, ihr Mann sei in der Fremde gestorben. Wir werden erfahren und sehen, dass das nicht stimmt. Fürs erste. "Zemestan" dekliniert die Grundbewegungsarten des Unglücks am äußersten Rand der iranischen Gesellschaft: Sitzen und Verharren, Gehen und Humpeln, und manchmal ein Rennen – einmal auch durch eine Straße in einer größeren, bunten Stadt - als Ausbruch, der unmöglich bleibt. Sehr schön sind die Einstellungen, die das Gehen, Humpel, Rennen zeigen als Bewegung hinein in die Tiefe des Bildes. Oft sind sie mit so langer Brennweite gedreht, dass die Figuren kaum von der Stelle zu kommen scheinen, so eilig sie auch gehen. Gefangen im Winter dieses von keiner dauerhaften Hoffnung erlösten Missvergnügens. Auch sehr schön sind ein paar Szenen, die den Helden Marhab zeigen, frontal und in Großaufnahme, die Gesprächspartner lange nicht im Bild. Was wiederkehrt sind die Motive, die Gleise, der Zug, der Schnee, das Haus aus Beton, das Lied, das dem Film den Titel gibt. Alles sehr konkret und alles sehr Parabel zugleich für ein Land, ein Leben am Ende. Aber auch alles nicht viel mehr als poetischer Miserabilismus. Ein Werk, noch dazu, das die Klischees, die der Westen so hat vom iranischen Film, nur bestärkt. Das ist kaum Rafi Pitts Schuld, aber ein Problem für die Rezeption ist's bei der Platzierung im Wettbewerb doch. ... Link
malick gesichtet
knoerer
06:32h
Michael Althen in der FAZ (kostenpflichtig) über eine Begegnung mit Terrence Malick, der offenkundig sehr wohl in Berlin ist, sich nur nicht sehen lässt: Und wer Glück hatte, konnte nach dem Essen tatsächlich neben ihm sitzen und feststellen, daß er ein interessierter und intelligenter Gesprächspartner ist, der einfach nicht gern unter Leute geht. Weil Malick keine Interviews gibt, muß natürlich immer unter vier Augen bleiben, was bei so einem Anlaß gesagt wird. Nur so viel: Er hat tatsächlich eine Sonnenfinsternis in Montana gedreht - und eine Mondfinsternis. ... Link
hinweis
knoerer
06:24h
Kurzer Hinweis auf einen Text zu Brice Cauvins schönem Film "De particulier à particulier" in der taz. ... Link ... Nächste Seite
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last updated: 26.06.12, 16:35 furl
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morgigen FAZ: Zum Artikel "Hans Imhoff - Meister über die...
by knoerer (17.02.09, 19:11)
live forever The loving God
who lavished such gifts on this faithful artist now takes...
by knoerer (05.02.09, 07:39)
gottesprogramm "und der Zauber seiner
eleganten Sprache, die noch die vulgärsten Einzelheiten leiblicher Existenz mit...
by knoerer (28.01.09, 11:57)
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