Freitag, 10. Februar 2006
Pernille Fischer Christensen: En Soap (Dänemark 2006, Wettbewerb)

Es gibt langweilige Filme und es gibt belanglose Filme. Der Unterschied? Keine Ahnung. Der dänische Wettbewerbsbeitrag „En Soap“ ist jedenfalls beides.

Ein Kammerspiel zwischen zwei Wohnungen. Oben wohnt Charlotte (Trine Dyrholm), die nach vier Jahren Kristian (Frank Thiel) verlassen hat und nun einen neuen Anfang sucht. Unten wohnt Veronica (David Dencik), die Ulrik heißt, ein präoperativer Transsexueller, schüchtern, mit Hund und hübscher Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen. Charlotte klopft an Veronicas Tür, so lernen sie sich kennen. Im Folgenden lernen sie sich dann näher kennen. Sie sehen gemeinsam die amerikanischen Soap Operas, die Veronica so liebt. Sie kommen sich näher. Und näher. Zwischendurch gibt es Widerstände, innere und äußere. Die Mutter, zum Beispiel, die nicht wahrhaben will, dass ihr Ulrik Veronica ist.

Wie bei Dogma selig wackelt die Handkamera bei natürlicher Beleuchtung und produziert hässliche Bilder. Die Einfallslosigkeit des Drehbuchs überträgt sich so immerhin unmittelbar. Das ist alles gut gemeint und gespielt, ohne jeden Wagemut, dümpelt dahin unter der Flagge seiner heteronormativitätskritischen Toleranzbotschaft. Und weil Pernille Fischer Christensen dann doch gemerkt hat, wie belanglos das alles ist, eine Transsexuellensoap eben, hat sie eine Ebene draufgesattelt und unterbricht das Programm in Schwarz-Weiß mit Zusammenfassungen des Geschehenen und zu Erwartenden. Aber in Klischee und Not bringt auch der Meta-Weg den Tod.

Das ganze, verstehen wir, nichts als en soap, eine Soap also, oder doch eine Seifenlauge. Zwischendurch badet Charlotte ihre Füße darin.

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Nasser Refaie: Another Morning (Iran 2005, Forum)

Seine Frau ist tot, die Trauergesellschaft verabschiedet sich. Der Mann ist allein, sein Name ist Kamali. Wir sind mit ihm allein, für den Rest des Films, Einstellung für Einstellung. Kamali schweigt. Und schweigt. Kamali wird bis zum Ende des Films kein Wort gesprochen haben. Er ist verstummt. Er tut Dinge. Er tauscht das Trauerfoto seiner Frau auf der Kommode gegen ein anderes, auf dem sie lebendiger aussieht. Er geht in sein Büro, sitzt dort an seinem Tisch, und schweigt. Er eilt, um zu weinen, auf die Toilette. Er rasiert sich und sieht im Spiegel einen neuen Mann. Wir sehen ihn auf dem Friedhof, er weicht den ums Grab versammelten Trauernden aus, nicht beim ersten, aber beim zweiten Mal. Später versucht er sich an der Waschmaschine, aber sie macht keinen Mucks. Also stellt er sich unter die Dusche und wäscht seine Sachen von Hand. Er hängt sie, als der Wäscheständer voll ist, übers Mobiliar.

Bei all diesen Dingen beobachten wir Kamali, den Mann, der schweigt. Man sollte meinen, Nasser Refaies "Another Morning" sei deshalb ein trauriger Film. Ein Film über Trauer. Das ist er auch – aber er ist auch komisch. Und nicht nur das – er ist auch ein recht gewagtes Porträt der iranischen Gegenwartsgesellschaft. Schweigen nämlich ist Kamali unterwegs, zu Fuß und mit dem Auto, auf den Straßen der Stadt und der Vorstadt. Dinge stoßen ihm zu. Einmal beobachtet er eine Drogenübergabe, so sieht es jedenfalls aus. Eine Gruppe junger Männer stürmt an ihm vorbei, er läuft, weiß der Teufel warum, einer spontanen Eingebung folgend, mit ihnen mit und bekommt es mit der Staatssicherheit zu tun. Kamali ist, für uns, das beginnen wir irgendwann zu begreifen, mehr als ein schweigender Mann in Trauer. Er ist auch unser Mann in Teheran.

Seine Augen sind so groß wie die unseren und er bewegt sich durch diese Welt, als wisse er nicht, wie ihm geschieht. Er ist ein wandelnder Distanzierungseffekt und somit die komische Figur par excellence. Durch den Tod seiner Frau ist die Bindung zur Lebenswelt zerstört, also fallen Leben und Welt auseinander. Die Begegnung mit den Dingen des Alltags wird zum komischen Kampf, nicht viel anders als für Monsieur Hulot. Und auch der spricht ja nicht (viel).

Wie sieht die Welt nun aus, wie der Alltag in Teheran, die unser Mann uns zeigt und vor Augen führt? Die Lotterie spielt eine wichtige Rolle, das Fernsehen zeigt Nachrichten und Shows und Filme und Fußball. Die Behörde macht es denen, die zu ihr kommen, nicht leicht. Kriminalität, auch die Klage über die wachsende Kluft zwischen arm und reich, sind gegenwärtig. Am Nationalfeiertag sieht man einen Prediger, Refaie erlaubt sich den Scherz, ihn durch den Glasdurchbruch einer Tür zu filmen. So wird er distanzierend gerahmt vom Holz der Tür. Was er sagt, ist nicht zu hören. Wie hier, zeigt sich die Raffinesse des Films, der strikt auf Einfachheit setzt, im Kleinen. Man könnte sagen: Der Trauer seiner Figur wird er nicht gerecht. Er denunziert sie nicht, aber er nutzt sie um, als verfremdende Beobachterperspektive. Kamali fällt aus der Welt und schließt sie uns dadurch auf.

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Donnerstag, 9. Februar 2006
Ashim Ahluwalia: John & Jane (Indien 2005)

Die ersten Bilder zeigen, in rascher, verschwommener Handkamera-Fahrt New York, Times Square und 42nd Street, die USA am Ort, an dem sie dem Klischee zum Verwechseln ähnlich sehen. Der Rest spielt in Indien, Bombay und folgt sechs jungen Leuten, die in einem Call-Center arbeiten und am Telefon so tun, als seien sie nirgendwo anders als in den USA. 4th dimension ist der Name der amerikanischen Firma, die die Heimat auf Stockwerke verteilt hat, so dass man im New-York-Großraumbüro oder New Jersey arbeitet. Oder in Texas, der Job ist nicht ohne, I hardly ever call anyone erfährt die Inderin, die einen long distance service verkaufen soll.

Den Erwartungen an einen Dokumentarfilm versperrt sich „John & Jane“ auf keineswegs eindeutige Weise. Nichts ist, wenn man den Regisseur recht versteht, im strengen Sinn Fiktion. Dennoch wirken viele der Szenen inszeniert, einer der Jobber im Gespräch mit der Mutter, nur zum Beispiel. Arrangiert sind die Sequenzen und Figuren in aufsteigender Begeisterungslinie. Es endet mit einer Frau, die blondiert ist und dreimal hintereinander betont, dass sie natürlich blond sei. Eine Theorie zur Seelenverwandtschaft mit natürlich Blonden hat sie auch. Viel Spaß dann bei der Suche nach einem Mann in Bombay.

Regisseur Ashim Ahluwalia rückt seinen Figuren auf den Leib, aber nicht zu sehr. Manchmal entfernt er sich weit, zeigt Zeitraffer von Straßenverkehr in Bombay und Häuserarchitektur, die man eher in den USA verorten würde, wenn überhaupt. Genaue Verortung ist denn auch gerade nicht, worauf Ahluwalia hinaus will. Sehr viel eher will er etwas darstellen wie das vage Phantasma USA, reduziert auf Werte, die im VHS-Kurs Amerika als ohne weiteres aufzählbar behandelt werden. Amerikaner wollen Erfolg, sie schätzen Individualität, sie bestellen Waren im Katalog und die amerikanische Flagge ist omnipräsent.

Manch einer gerät ins Träumen und verehrt Elvis und Engelbert (sic!) als Milliardäre. Er möchte ein Haus, ein Auto, er wäre von Herzen gern das, was er für einen Amerikaner hält. Reich natürlich vor allem. Der phantasmatische Raum bleibt diffus und Ahluwalia macht keine Anstalten, den Träumen, dem Hass auf den Job, den Verkennungen und Erkenntnissen eine ausformulierte These entgegenzuhalten. Anderes schon: elektronische Musik, die die Entortung und Virtualisierung unterstreicht. Blicke auf Korridore, Blicke auf Architektur, die dem Indien-Klischee widerstehen. Dem verrückten Ort, heartland USA mitten in Bombay, kommt er so durchaus nahe.

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nahrungssuche

Fast vergessen: Es ist ja auch die Zeit, in der man sich am Potsdamer Platz zu ernähren lernen muss. Heute Chinanudeln an Gemüsealibi.

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Sono Sion: Strange Circus (Japan 2005, Forum)

Dieser Film scheint verrückt, erst einmal. Er kehrt Inwendiges nach außen und projiziert es, blutrot, buchstäblich, auf Außenwände. Ein Riesenrad dreht sich, wir wissen nicht wo, wir wissen nicht, wie real es ist. So verrückt der Film scheint, als so nüchtern, so viel darf man sagen, wird er sich am Ende erweisen, wenn auch auf seine ganz eigene Art. Vielleicht ist das sogar sein einziger Fehler, dass er einen klaren Kopf behält inmitten der Hölle aus Sex, Blut, inmitten des brutalen Psychodramas, das er heraufbeschwört.

Schon im ersten Bild ist das Versprechen des Titels erfüllt. Wir finden uns wieder in einem, weiß Gott, „seltsamen Zirkus“, voller Transvestiten und Artisten, inmitten ansteckender Musik und plüschiger Dekoration. Die Guillotine nicht zu vergessen, die auf der Bühne steht und auf einen Kopf wartet, der rollen wird. Und wir sind es, die auf die Bühne gebeten werden, oder wenigstens scheint es so, für einen Moment. Wir finden uns an der Stelle der Kamera, im nächsten Moment jedoch nimmt die Protagonistin des Films unseren Platz ein. Nennen wir sie der Einfachheit halber Mitsuko. Sie wird sich bald genug als schizoide Persönlichkeit erweisen, die sich auf Arten, die wir nicht glauben, die wir uns nicht vorstellen wollen, mit ihrer Mutter identifiziert. Nennen wir ihre Mutter der Einfachheit halber Sayuri.

Einfach ist hier freilich nichts. Der Plot, der sich in gnadenlos blutigen Details entfaltet und umfaltet, zwingt uns in eine Dreiecksgeschichte au Liebe, Vergewaltigung, Gewalt, Rache und Blut. Man darf von diesem Plot nur so wenig wie nötig verraten, denn die Art und Weise, wie er sich entwickelt und verwandelt, ist von entscheidender Bedeutung dafür, wie wir wahrnehmen, was wir sehen und zu sehen gezwungen werden. Und diese schizoide Geschichte zwingt uns auf Wege und in Korridore, von denen wir hoffen, sie wären nicht real. Sie macht uns schaudern, sie flößt uns Angst ein vor jedem nächsten Bild, aber mit gutem Grund.

Es handelt sich nicht um Gore um seiner selbst willen, wie oft genug in den Filmen von Takashi Miike. Das durchaus psychoanalatisch lesbare Psychodrama, das sich vor unseren Augen entwickelt, ist nur zu plausibel. Der Regisseur Sono Sion – sein Debütfilm trug den Titel „Ich bin Sono Sion“ (man mag es nach „Strange Circus“ bezweifeln), er hat, so ist zu lesen, auch schon bei Schwulenpornos Regie geführt – weiß, was er tut, er verwendet seine filmischen Mittel kontrolliert. Die Räume, die er entwirft und erfindet, sind präzise Allegorien, nach Außen gewendetes Inneres.

Der delirante Mahlstrom der Bilder, mit dem „Strange Circus“ beginnt, lässt im Verlauf des Films nach. Die zweite Hälfte offeriert dann eine Lesart der ersten, die schrecklichen Sinn macht, und zwar umso schrecklicher, je nüchterner sie daherkommt. Wir befinden uns am Ende am Ort des Beginns, wie es scheint. Auf der Bühne eine Guillotine, die auf einen Kopf wartet, der rollen wird. Ein seltsamer Zirkus fürwahr.

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berlinale

Wie alle Jahre wieder wird dies kleine Mufu-Blog während der Berlinale zum Berlinale-Blog des angeschlossenen Filmmagazins Jump Cut, d.h. ich poste einfach kommentarlos alle Kritiken, die ich schreibe - meistens hier im Schreibzimmer im Hyatt-Hotel -, hinein. Was immer Sie dann damit anfangen mögen, liebe Leserinnen und Leser. (In aller Regel finden sich die Kritiken auch beim Perlentaucher, in der Berlinale Kolumne "Außer Atem" bzw. in deren englischer Übersetzung bei der an den Perlentaucher angeschlossenen englischsprachigen Website Signandsight. Zusätzlich finden sich einige wenige Kritiken zu anderen Filmen exklusiv auch in der taz, die zu lesen sich während der Berlinale ohnehin und auch ohne mein Zutun empfiehlt.)

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Samstag, 4. Februar 2006
rat

Ich weiß ja, dass hier Leute lesen, die sich auskennen. Hat jemand Lust, mal einen Blick auf die Liste der Bands beim SXSW-Festival in Austin zu werfen und mir zu raten, wohin zu gehen sich lohnte?

Meine Favoriten bisher, auch zur Geschmacksorientierung: Animal Collective, Arctic Monkeys - naja, wird wohl zu voll -, Belle & Sebastian, Built to Spill, Cat Power, Clap Your Hands Say Yeah, The Flaming Lips, Goldfrapp, Kris Kristofferson - well -, Kathy McCarty, Steve Wynn.

Die meisten Namen sagen mir überhaupt nichts. Ich bin aber sicher, dass Großartiges dabei ist.

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